Spiel des Lebens 1
Weil du meinen Platz eingenommen hast.« Er schaute sie an, und Emily sah ein feuchtes Schimmern in seinen Augen. »Du warst schuld daran, dass sie mich aus der Hölle in den Himmel erhoben und dann zurück in die Hölle gestoßen haben. Eine Weile der strahlendste aller Engel. Und schließlich hinabgeworfen in den tiefsten Abgrund. Und das, Emily, ist schlimmer, als wenn man immer in der Hölle gewesen wäre und den Himmel nie gesehen hätte.« Wieder schimmerten Tränen in seinen Augen. »Und so nahm ich mir vor, mich zu rächen. An allen. Ich plante meine Rache genau. Ich wusste, wer mir dabei helfen würde. Ich wusste, was es kosten würde. Und ich wusste, wen diese Rache am Ende treffen würde.« Wieder fixierte er Emily. »Jack, in jedem Fall. Mary irgendwann auch. Aber ganz besonders eine Person. Die Person, die zurück in den Himmel kam, als ich in die Hölle fuhr. Die Person, die die schönste Zeit meines Lebens beendet hatte. Die Person, die mein Leben gestohlen hat. Diese Person, Emily Waters, bist du.«
Er stand auf.
» Das Spiel des Lebens ist beendet.« Er trank den Whisky aus.
»Jetzt beginnt Das Spiel des Todes. «
48
Das Spiel des Todes.
Es war, als ob diese Worte Emily aus der Trance rüttelten. Oder war es die Wahrheit, die sie endlich über ihre Vergangenheit erfahren hatte? All die Details, die sich plötzlich in ihrem Gehirn zusammenfügten und ein Bild ergaben, das ihre vormals so dunkle und obskure Vergangenheit auf einmal in grellen Farben zeigte?
Egal, was es war, aber Emily hatte plötzlich das Gefühl, dass alle ihre Sinne geschärft waren. Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, wurde ihr bewusst, wurde ihr wirklich bewusst, was hier geschah.
Vor ihr saß ein Wahnsinniger, der trotz aller verqueren Logik einen entsetzlichen Grund für seinen Wahnsinn hatte. Und sie saß hier. Und alle ihre Freunde, ihre Eltern und Ryan waren weit weg. Sie war die Einzige, die sich aus dieser Situation retten konnte. Niemand sonst konnte ihr helfen.
Er lehnte sich zurück.
»Dir ist gerade klar geworden, dass dich niemand retten wird«, sagte er im Plauderton. »Und das ist nur allzu wahr, liebe Emily«, fügte er hinzu. »Denn ich habe dich ein klitzekleines Bisschen angelogen.« Er kicherte. »Deine Eltern sind von mir ins Wohnheim kommandiert worden, das schon. Aber da sind sie nicht mehr. Sagen wir mal, sie wurden dort erwartet, von meinen guten Freunden aus der Unterwelt.« Er beugte sich plötzlich vor, seine Augen funkelten. »Im Klartext: Deine Eltern sind gefangen. Und nur du kannst sie befreien. Falls dir egal ist, was mit ihnen passiert, werden sie verdursten und verhungern, weil niemand außer mir weiß, wo sie sind.« Er schaute sie an. »Wenn du sie rettest, kannst du selbst dabei sterben. Wenn du nichts tust, sterbt ihr alle drei. Willst du das?«
Nein, dachte Emily. Es war die Antwort auf seine Frage, aber es war auch ein Schrei, der in ihrem Inneren aufbrandete.
Nein! Nein! Nein!
Dieser verdammte Psychopath, schrie es in Emily. Jetzt hatte er doch noch ihre Eltern in das alles hineingezogen. Entführt von dieser dämonischen Bande von Obdachlosen.
Ja, sie hatte sich über ihre Eltern geärgert, über ihre Lügen, die Geheimnistuerei, die Besorgtheit ihrer Mutter. Jetzt verstand sie, was sie durchgemacht haben mussten. Und genau diesen Moment hatte Jonathan gewählt, um sie zu entführen.
Alles war geplant, erkannte Emily. Jedes Detail, jeder Gedankenzug, jeder Moment. Und irgendwo in der hintersten Ecke ihres Verstandes, regte sich ein Gedanke, der neu war.
Wenn er doch so genau wusste, wie sie reagierte, wenn er sie wie eine Puppe führte, warum tat sie dann nicht das Gegenteil, das, was ihr Instinkt vorgab?
»Jonathan«, begann sie, »es gibt eine Sache, die mich brennend interessiert.«
Er schaute sie aufmerksam an. Offenbar hatte er so eine Reaktion nicht erwartet.
»Du sagst«, sprach Emily weiter, »dass die drei Monate hier in der Kuppelvilla die schönsten deines Lebens waren. Ist das so?«
Er nickte. Gut so. Jetzt war nicht sie es, die reagierte oder reagieren musste, sondern er.
»Das heißt, nicht nur die Villa, sondern auch die Personen, die mit der Villa zusammenhängen, sind fest mit diesen drei Monaten verbunden. Richtig?«
Er nickte. Die Squatter schauten ein wenig blöde auf Emily und Jonathan herunter.
»Und die Erinnerung an diese schönen drei Monate haben dir möglicherweise geholfen, auch die schlimmen Monate, die danach kamen zu
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