Spiel des Lebens 1
Vorhaben ein bisschen im Weg. Und diesen Weg musste ich freimachen. Damit niemand dazwischen steht. Zwischen mir und … «
Er starrte sie ein paar Sekunden an.
»… und dir! Aber am Ende«, fuhr er fort, »ist Julia eine junge Frau, und die Frauen sind alle gleich. Wie Affen sind sie. Erst wenn sie einen Ast fest im Griff haben, lassen sie den anderen los. Und je stabiler der Ast erscheint, desto mehr klammern sie sich fest. Und je mehr sie sich festklammern, desto besser kann man sie kontrollieren. Und dann ist Emilys beste Freundin auf einmal nicht mehr da, wenn sie gebraucht wird.«
Was für ein Scheusal, dachte Emily. Julia war wahrscheinlich überzeugt, sie hatte Jonathan um den Finger gewickelt, aber sie hätte kaum falscher liegen können. Wenn hier jemand um den Finger gewickelt worden war, dann war es Julia.
Jonathan blickte sie aufmerksam an und wartete ein paar Sekunden, bevor er weitersprach: »Handys. Man kann so schöne Sachen mit ihnen machen. Zum Beispiel das Handy, mit dem der Drohanruf vor der Bombendrohung kam. Dieses Handy kann man einfach irgendwo verstecken, wo es nicht hingehört.« Er lächelte Emily an. »Im St. Thomas Studentenwohnheim, im Zimmer von Ryan beispielsweise.« Er schaute sie an. » Deinem Ryan! Und gleichzeitig einen Squatter so auffällig auf der Terrasse des College herumfuhrwerken lassen, dass Ryan auf ihn aufmerksam werden muss. Und dann als Einziger auf der Dachterrasse gesehen wird, bevor der Sprengsatz hochgeht.« Er fletschte die Zähne.
Ryan, dachte Emily. Er ist es doch nicht gewesen. Und sie hatte es doch eigentlich die ganze Zeit gewusst, dass er es nicht gewesen sein konnte. Und sie hatte sich das alles auch noch schöngeredet, hatte sich gesagt, dass jetzt alles vorbei wäre. Nichts war vorbei. Denn der Mann, den sie den Spieler genannt hatte, der saß nun vor ihr. Und der Mann, den sie liebte, konnte sie nicht beschützen, weil sie ihn selbst für den Mörder gehalten hatte.
Merkwürdigerweise spürte sie in diesem Moment Erleichterung. Obwohl sie hier saß, umringt von gefährlich aussehenden Gestalten und Angesicht zu Angesicht mit diesem Verrückten – tat es doch gut, endlich Gewissheit zu haben.
»Warum Ryan?«, fragte sie.
Jonathan lächelte. »Oh, das hat Spaß gemacht«, sagte er. »Man braucht immer jemanden, der die Drecksarbeit macht. Nicht jeder verdient, was er bekommt, und nicht jeder bekommt, was er verdient. Das Leben ist nämlich ein Nullsummenspiel.« Er blies wieder Rauch aus und ließ sich von einem der Squatter Eis und Whisky nachfüllen. »Was der eine gewinnt, verliert der andere. Und umgekehrt. Diesmal musste halt mal der … irische Prinz verlieren.«
Der irische Prinz. Entweder hatte er das aus Julia herausgekitzelt, oder er hatte sie die ganze Zeit belauscht. Zugetraut hätte Emily ihm beides.
Er fletschte erneut die Zähne. »Ist er in Untersuchungshaft?«, fragte er dann unvermittelt.
Emily nickte.
»Hast du dich in ihn verliebt?«
Emily zuckte zurück. »Was geht dich das an?«
Jonathans Augen wurden kalt, während seine Mundwinkel weiterlächelten.
»So viel es einen Menschen angeht, der dich in seiner Gewalt hat und dich mit einem Fingerschnippen aus dem Leben befördern könnte. Ich frage daher noch mal.«
»Hast du dich in ihn verliebt?«
Emily schloss die Augen. »Ich glaube ja.«
»Glauben heißt nicht wissen.«
»Ja«, sagte sie langsam. »Ich habe mich in Ryan verliebt.«
»Bist du jetzt glücklich?«
»Glücklich?«, fragte Emily, um Zeit zu gewinnen.
»Glücklich, dass dein irischer Prinz nicht ›der Irre‹ ist, wie du immer so schön sagst? Der Ire ist nicht der Irre. Das klingt doch nicht nur gut, dass ist es auch, oder?« Er schaute sie unverwandt an. »Na?« Er hob die Augenbrauen.
»Ja, so weit es geht«, sagte Emily.
»So weit es geht«, wiederholte Jonathan. »Das heißt, so ganz uneingeschränkt kannst du dich darüber nicht freuen. Was wahrscheinlich daran liegt, dass immer noch ein Irrer übrig bleibt. Und wenn es nicht Ryan ist«, er bewegte sein Whiskyglas und die Eiswürfel klirrten, »dann muss es jemand anders sein. Und dieser Jemand ist nach wie vor da … und nach wie vor«, jetzt beugte er sich abrupt nach vorn und durchbohrte sie mit seinen Blicken, »irre!«
Emily wich zurück. Wie hatte sie nur jemals glauben können, dass es Ryan war? Ihr liebenswerter, zuverlässiger Ryan? Dass Jonathan mit seinen angeblich bald zwei Doktortiteln dahintersteckte, das machte viel mehr Sinn.
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