Spiel, Kuss & Sieg
auf ihrem Platz saß.
Reiß dich zusammen, befahl er sich, während er einmal um das Feld galoppierte und sich standhaft weigerte, die Zuschauermenge abzusuchen, die auf die Tribüne zurückströmte. Doch als der Schiedsrichter das vierte Chukka anpfiff, musste er einfach den Kopf nach ihr umwenden. Ihr Sitz blieb leer.
Hatte ihre Anwesenheit ihn bisher ungemein in seiner Konzentration gestört, lenkte ihn ihre Abwesenheit in der zweiten Halbzeit noch mehr ab. Fast hätte er sogar den Abpfiff des Schiedsrichters überhört.
San Silvana hatte gewonnen. Doch als Francisco ihn gratulierend umarmte, empfand Alejandro keine Freude. Stattdessen breitete sich das Gefühl in ihm aus, etwas wesentlich Wichtigeres verloren zu haben.
Niedergeschlagen stand Tamsin vor dem großen Spiegel in ihrem Zimmer.
Das geschah ihr ganz recht, wenn sie sich mitten in der Näharbeit ablenken ließ.
Die eisvogelblaue Seide schimmerte so wundervoll wie zuvor, doch anstatt ihren Körper zu umschmeicheln, hatte sie das Kleid so eng genäht, dass es ihren Po sehr betonte und der Ausschnitt die Grenze des gesellschaftlich Zulässigen erreichte.
Zumindest war von dem ursprünglichen Bademantel nichts mehr zu erkennen. Ein kleiner Trost, da die bisherige Besitzerin bestimmt auch auf der Party sein würde. Sie hatte die vielen Frauen gesehen, die Alejandro in der Halbzeitpause umringten, als sie ihm hatte Bescheid sagen wollen, dass sie es nicht mehr ertrug, das Spiel anzusehen. Wie dumm von ihr zu glauben, dass ihm ihr Fehlen überhaupt auffallen würde.
Tamsin zuckte zusammen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Sie öffnete und sah sich Giselle gegenüber.
„Alejandro hat mich gebeten, Ihnen das hier zu übergeben“, sagte sie und ließ ihren Blick neugierig über Tamsin und ihr enges Kleid wandern. „Er lässt ausrichten …“ Sie hielt inne und schien die Bedeutung des Wortes abzuwägen. „Entschuldigung.“
„Danke.“ Tamsin nahm der Privatsekretärin die Papiertüte aus der Hand und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie die Tüte aufs Bett stellte. Mit zitternden Fingern löste sie die Schleife und griff vorsichtig hinein. Ihre Finger berührten seidenweichen Stoff.
Sie zog den Inhalt heraus. Einen Moment glaubte sie, die gute Fee sei gekommen, um Aschenputtels Lumpen in ein Ballkleid zu verwandeln. In ihren Händen hielt sie ein Kleid aus fließender smaragdgrüner Seide. Mit geschultem Blick bewunderte sie das Design, den perfekten Schnitt, die Originalität der Arbeit. Ihre weibliche Seite hingegen begeisterte sich für die atemberaubende Schönheit des Kleides.
Ungefähr zwei Sekunden.
Dann traf es sie wie ein Eimer eiskaltes Wasser.
Das Kleid war ärmellos.
Aschenputtel würde wohl doch in Lumpen zum Ball gehen.
Den Gärten von San Silvana wohnte bei Sonnenuntergang ein ganz besonderer Zauber inne. Normalerweise reichte Alejandro der Anblick aus, wenn er nach einem harten Arbeitstag oder einem anstrengenden Polospiel mit einem Drink in der Hand auf die Terrasse trat, um seiner Seele Frieden zu schenken.
Heute Nacht blieb ihm das versagt.
Gegen das Geländer gelehnt, ließ er seinen Blick über das üppige Grün schweifen. Den ganzen Tag über hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, mit Tamsin zu sprechen. Nun, da seine Chance fast gekommen war, fehlten ihm wieder die Worte.
Gestern Nacht hatte er sie bitter enttäuscht, so viel war ihm klar. Er hätte ihr sofort sagen müssen, dass ihr Mangel an Erfahrung für ihn keinen Unterschied bedeutete. Aber das wäre eine Lüge gewesen. Und Alejandro D’Arienzo war stolz darauf, stets die Wahrheit zu sagen.
In Wahrheit machte es einen Unterschied.
Es änderte alles.
Er hatte sie falsch eingeschätzt und zwar auf allen Ebenen. Er würde Wiedergutmachung leisten müssen. Angefangen hatte er damit, sich um die Krise bei Coronet zu kümmern. Aber das Unrecht, das er ihr persönlich angetan hatte, ließ sich nicht so einfach aus der Welt schaffen. Das Kleid sollte ein kleines Friedensangebot sein. Natürlich reichte das nicht aus. Was er ihr wirklich geben musste, war Respekt. Und das bedeutete, dass er von nun an die Finger von ihr ließ.
„Du trinkst allein?“
Er wirbelte herum. Tamsin schlenderte über die Terrasse auf ihn zu. Sofort versank die Anspannung, die er seit dem Spiel gegen La Maya in den Schultern gespürt hatte, in Bedeutungslosigkeit. Denn ihr Anblick verursachte einen heftigen Schmerz tief in seiner
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