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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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der in Himberg schon lange bestand, war für Reetz eine Erweiterung geplant. Zurzeit gab es dort erst zwei Windräder. Auch das bestätigte die Angaben des Wirtes. Gut und schön. Das war bald geklärt. Aber das war nicht das Ende. Das war nicht der Punkt.
    Denn mit jedem Klick, mit jedem Link tauchte Krux durch einen Tunnel in einen Dschungel ab, der ihn mit Haut und Haar verschlang. Es gab kein Zurück. Er stolperte von einem Begriff über den nächsten, dessen Bedeutung er verstehen wollte. Von Baugenehmigungen und ausgewiesenen Zonen, streifte er Hersteller und Betreiber, bekam einen Einblick in ganze Dilemmata von Ökonomie und Ökologie, Flächennutzungsplänen und Netzeinspeisung, Mindestabständen und Konzentrationszonen. Er stieß auf eine Karte, auf der alle Windparks in der Region eingezeichnet waren. Solche, die bereits bestanden, in der Planung waren oder abgelehnt worden waren.
    Und er fand sie. Die Lücke. Die Lücke schlechthin. Diese Lücke, die besser war als alle roten Kirschen in allen Automaten dieser Welt zusammengerechnet. Sie war wie gemacht für ihn. Sie wartete auf einen Mann wie ihn, die Lücke.
    Für die Gegner musste er sich warm anziehen. Ihre Argumente zu entwerten hatte höchste Priorität. Ein neuer Wortschatz musste her. Er musste Antworten parat haben, Antworten auf Eis-und Schattenwurf, Schlagschatten und Disko-Effekt, Naturschutz, Schallimmission und vieles mehr.
    Dafür konnte er die Zweifelnden mit vielversprechenden Aussichten auf Rendite, Zeichnungskapital, Steuersparmodelle, Verlustabschreibung locken. Dazu war der Grips vonnöten, von dem der Wirt gesprochen hatte. Den hatte er. Auch wenn er in letzter Zeit viel zu selten Gebrauch davon gemacht hatte.
    Krux rieb sich die Schläfen, tausend neue, fremde Schlagworte spukten in seinem Kopf herum. Er war weder Ingenieur noch Steuerberater. Aber Angst hatte er keine. Diese Lücke, das war der Coup, von dem er immer geträumt hatte. Der größte seines Lebens. Verglichen damit war alles vorher peinliche Kinderei gewesen: Alte Frauen abzocken, Spielautomaten knacken, Handys klauen, illegales Hacken …
    Erfolg ist nur eine Frage der gründlichen Vorbereitung, sagte er sich, als er das Laptop schlafen schickte. Morgen musste er es dringend aufladen und Visitenkarten und Brief-vordrucke entwerfen. Edel sollten sie aussehen und seriös. Er musste sich einen Anzug kaufen und eine lederne Aktentasche und einen goldenen Kuli. Er musste zum Friseur. Er brauchte Startkapital. Er musste ein Konto eröffnen. Herrmann Krux war nicht mehr geschäftsfähig, er brauchte neue Papiere. Aber woher? Konnte er sich an Hansen und Steinbrecher wenden, die wussten, wo es sie gab, wenn er das Geld versprach, das er ihnen schuldete?
    Ja. Ja. Ja.
    Aber der Bus? Ein vornehmer Geschäftsmann, der er ab sofort sein würde, konnte unmöglich mit einem durchgerosteten und mit Aufklebern verunstalteten VW Bus aus den Siebzigern auf großes Vertrauen in seine Seriosität hoffen. Ein neues Auto war nicht drin. Jedenfalls nicht, solange nicht die erste Kohle reinkam. Erst dann konnte er sich sein Traumauto leisten: einen 7er BMW. Jetzt könnte er vom Bus alle Aufkleber entfernen und ihn neu lackieren lassen. Aber die Werkstatt musste noch gefunden werden. Blieb nur die Flucht nach vorne. Der Bus musste zu seiner Masche werden. Er würde ihn nicht länger verstecken, jedenfalls nicht, solange er auf Kundenfang war. Im Gegenteil, er würde ihn mitten in den Dörfern abstellen. Auf dem Marktplatz, neben der Kirche. Und nicht warten, bis ihn jemand skeptisch fragen würde, sondern seinen potenziellen Kunden eine Story auftischen, dass ihnen die Ohren brannten: Stolz und strahlend würde er ihnen den Bus vorführen … gerade erst vor dem Autofriedhof gerettet ... ein Auto mit Kultstatus ... in fachkundigen Meisterhänden wird es zum Juwel ... ein Einzelstück ... ein Geheimtipp ... eine Geldanlage ... bereits das vierte in seinem Stall .... und dann ganz bescheiden hinzuzufügen, dass sei sein kleines Hobby, ein bisschen teuer zwar, aber man gönnt sich ja sonst nichts. So würde es funktionieren. Und dazu musste er nicht einen einzigen Aufkleber entfernen.
    Ja. Ja. Ja.
    Er war angefixt. Er konnte nicht mehr zurück. Und er fühlte es wieder, endlich, das Fieber, fühlte, wie es kontinuierlich anstieg, auf einer nach oben offenen Skala, wie bei einem richtigen Spiel. Dieses hier würde länger dauern als fünf Sekunden und den tausendfachen Gewinn bringen.
    Das war das

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