Spiel mir das Lied vom Wind
völlig windradfrei gewesen. Konnte das sein? Oder waren die Räder ebenso unbemerkt an ihr vorbeigeglitten wie die Ausfahrt Blankenheim?
Sie wendete, kehrte zurück auf die B 51 und steuerte den Polo im neuen Kreisverkehr in Richtung Tondorf. Im Ort bog sie zügig links auf die B 477 ab, die über Engelgau nach Zingsheim führte. Angestrengt hielt sie durch die schmutzigen Autoscheiben nach ihrem Ziel Ausschau. Nach wenigen Kilometern tauchte es endlich am Horizont auf. Sie näherte sich auf offiziellem Weg über Engelgau und von dort halboffiziell über eine schmale Straße, die landwirtschaftlichem Verkehr vorbehalten war.
Auf einer Hügelkuppe bauten sich fünf auffallend kleine Windräder vor ihr auf. Wie ein Windrad-Kindergarten. Eine Handvoll Geräte, die sich langsam und bedächtig im Sommerwind drehten, als übten sie noch. Eines stand still.
Fasziniert von ihrem Anblick wäre Sonja beinah entgangen, dass ein Auto mit Wohnwagen auf sie zukam. Das Schild des Autokennzeichens war gelb. Sie wich nicht aus, sondern trat auf die Bremse. Der Holländer oder Luxemburger konnte nicht passieren, ohne im Straßengraben zu landen, es blieb auch ihm nichts anderes übrig als anzuhalten. Die Fahrertüren der beiden Autos wurden geöffnet. Sonja stand zuerst draußen.
Der Mann war groß und hager und hatte kurzgeschnittenes Haar. Er trug eine hellblaue Windjacke. Sein Gesicht war gerötet und verschwitzt. Er sah nicht wie ein Mörder aus. Sonja glaubte einen Blick für Mörder entwickelt zu haben. Naiv sahen sie nie aus.
»Polizei«, sagte sie und zog mit der linken Hand ihren Ausweis aus der Brusttasche ihres schwarzen Leinenblazers. »Darf ich fragen, was Sie hier machen?«
»Ich habe mich verfahren«, antwortete der Mann mit deutlichem Akzent und wollte wieder einsteigen.
»Kann ich Ihre Papiere sehen?«
Er war verdutzt, überreichte sie ihr aber anstandslos. Er hieß Johan van Kessel und war wohnhaft in Rotterdam. Er war siebenundvierzig Jahre alt. Sonja rümpfte enttäuscht die Nase. Es war nicht Adrian Skyler, es war nicht der Absender der E-Mail.
»Wo wollten Sie hin?«, fragte sie ihn und beachtete seine Hand nicht weiter, die er nach Personalausweis und Führerschein ausstreckte. Van Kessel zögerte und sah sich um, als suche er in der Umgebung nach einem Grund.
»Nun?«
»Blankenheim«, antwortete er vage.
Sonja blickte in sein Auto. Nichts Auffälliges. Van Kessel öffnete unaufgefordert den Kofferraum. Auch da lag nichts, was Sonja interessieren konnte. Die Fenster des Wohnwagens waren mit Gardinen zugezogen. »Öffnen Sie bitten den Wohnwagen.«
»Warum?«, fragte van Kessel und fuhr sich nervös übers Haar. Sein Gesicht verfärbte sich noch mehr.
»Warum nicht?«
»Ich habe nichts getan«, beteuerte er und breitete die Arme aus.
»Dann ist es ja gut.«
»Aber …« Sehnsüchtig blickte er auf seine Papiere.
»Wollen Sie lieber sofort mit mir zur Polizeistation fahren?«
»Nein, aber … im Wohnwagen ist nichts.«
»Dann lassen Sie mich dieses Nichts sehen«, beharrte Sonja.
Er zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und betrachte mit fahrigen Händen den dicken Schlüsselbund, als müsse er nach dem Wohnwagenschlüssel erst suchen.
»Machen Sie schon, ich habe wenig Zeit.«
Langsam schlurfte er zur Wohnwagentür. Langsam drehte er den Schlüssel um. Langsam schob er die Tür auf.
Sonja verlor die Geduld. Sie stieß ihn beiseite und setzte einen Fuß auf die hohe Stufe. Mit den Händen an den Seitenwänden zog sie sich hoch.
Der Wohnwagen war ein altes Modell mit geblümten Stoffen, Eichenholzmöbelimitaten und viel Plastik. Auf dem grauen Teppichboden zwischen Küchenzeile und Essbank lagen eine Leiter und ein in eine grüne Plane eingewickeltes und mit Schnüren sorgsam zugebundenes Paket, das groß genug war, um Sonjas Ahnungen zu bestätigen.
»Was ist in dem Paket?«, rief sie van Kessel zu, der noch draußen stand.
»Nichts.«
Sonja betastete das Paket. Es gab nach. Der Inhalt war nicht weich, er war nicht hart, er war irgendwo dazwischen. Sie glaubte etwas zu fühlen, was sie vielleicht nur fühlen wollte: einen Kopf, einen Arm, eine Hand. Tiefer kam sie nicht, ohne über die Essbank zu klettern. Sie sah eine Schere an einem Haken über der Spüle hängen. Sie könnte mit ihr die Schnüre aufschneiden, aber das Paket in dem schmalen Gang aufzuwickeln, würde ihr nicht gelingen.
Sie tauchte im Rundbogen der Wohnwagentür auf und sah auf van Kessel herab. Er hatte ein Handy
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