Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
Vom Netzwerk:
Seitdem die Bürger des Kreises Euskirchen Anzeigen auch
online
aufgeben konnten, hatte Roggenmeier den Ton in seinem PC wieder eingeschaltet, damit ihm nichts entging.
    »Moment, bitte«, bat er, dirigierte die Maus, öffnete die Mail mit einem Doppelklick und legte seine Stirn in horizontale Falten.
    Sonja musterte ihn. Entweder handelte es sich um einen sehr langen Text, oder er las einen sehr kurzen Text dreimal. Es war ihm nicht anzusehen, ob der Inhalt in irgendeiner Form erschütternd war. Als ihr die Prozedur zu lange dauerte, stand sie auf, um zu gehen.
    »Schauen Sie sich das an!« Roggenmeier winkte sie neben sich. Er lehnte sich zurück, sie beugte sich vor. Der Text war kurz. Mehrere Fotos befanden sich im Anhang.
    »Weitergeleitet vom Bezirksdienst Blankenheim, aber eigentlich aus Holland«, erklärte Roggenmeier und tippte mit dem Finger auf den Monitor. »Das erkennt man da an dem Punkt nl.«
    »Ach nee«, sagte Sonja abfällig, die vergessen hatte, wo sie sich befand, weil die Fotos alles Denkbare und Vorstellbare um Längen übertrafen. Was dort zu sehen war, war so unwahrscheinlich wie das Foto von einem Ufo im Schleidener Forst. Der Absender war ein gewisser Adrian Skyler. Die Mail war mit dem Symbol für Dringlichkeit markiert.
    Sonja richtete sich auf und spürte, dass ihr Mund wie ausgetrocknet war. Sie konnte Roggenmeier nicht in die Augen sehen. Er würde sofort bemerken, wie sehr der Fall sie betraf und wie brennend interessiert sie war. Er sollte nicht sehen, dass sie wollte, dass er sie auf der Stelle zwang, den Fall zu übernehmen.
    Desinteresse vortäuschen, schoss es ihr durch den Kopf, das war der sichere Weg, um etwas aufs Auge gedrückt zu bekommen.
    Roggenmeier faltete die Hände über dem Bauch, drehte Däumchen und sah sie schräg von unten mit einem listigen Lächeln an.
    »Was es alles gibt«, sagte Sonja und schüttelte den Kopf. »Ich bin dann mal in Schleiden.«
    Er nickte und ließ sie gehen, und Sonja fiel die Tür aus der Hand. Draußen stampfte sie mit dem Fuß auf. Sie ärgerte sich schwarz. Sie überlegte anzuklopfen, einzutreten und ihm ihre Hilfe anzubieten, wie eine ganz normale Mitarbeiterin. Unmöglich. Sie war blockiert.
    Und sie wusste, dass sie jetzt nicht nach Schleiden fahren würde. Mit und ohne Genehmigung. Sie wollte die erste am Tatort sein. Sie musste es.
    Roggenmeiers Tür öffnete sich und sein Kopf erschien im Türrahmen. »Es wäre mir recht, wenn Sie der Anzeige sofort nachgingen, ja?«
    Sonja nickte und dachte: Geht doch. »Und der Mann im Müll?«
    »Der muss eben warten. Ich gebe den Kollegen in Blankenheim Bescheid, dass Sie kommen. Nehmen Sie die Spurensicherung mit.«
    Sonja nickte und wusste da bereits, dass sie es nicht tun würde.
    »Wissen Sie überhaupt, wohin Sie müssen?«
    »Natürlich«, rief sie im Gehen. Sie sah nicht mehr, wie er verwundert hinter ihr herblickte. Sie war auf dem Weg. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Der Moment war gekommen.
    Im Auto wollte Sonja sich nur kurz auf der neuen Straßenkarte orientieren, die sie aus dem Handschuhfach hervorzog. Aber so einfach war das nicht. Ohne Lesebrille lief da gar nichts. Sonja suchte ihr Einzugsgebiet ab und landete schließlich im Süden. Das Ziel lag in der Nähe von Engelgau, Engelgau in der Nähe von Tondorf, Tondorf in der Nähe von Blankenheim. In einer halben Stunde wäre sie da.
    Danach rief sie per Handy den Bezirksdienst in Blankenheim an und informierte die Kollegen, dass sie zunächst alleine fahren, aber sofort anrufen würde, falls sie Hilfe bräuchte, wovon sie nicht ausginge. Gut. Niemand war erpicht auf einen Sondereinsatz.
    Sie fuhr in Wißkirchen auf die A 1 und trat das Gaspedal durch. Ihre Eile hatte einen Grund. Es würde sie nicht wundern, wenn Oberstaatsanwalt Wesseling eher am Tatort erschien als sie. Wie durch Zauberhand gelang es ihm, sich in Fälle einzumischen, in die sie involviert war. Insbesondere seitdem er von Aachen nach Bonn gewechselt hatte und zur Rechtsmedizin nicht nur einen direkten, sondern jetzt auch kurzen Draht hatte. Es war eine Mischung aus Kontrolle und Fürsorge. Sie konnte nie ganz sicher sein, welches Motiv bei ihm gerade vorherrschte. Typisch war auch, dass sie von seinem Eingreifen erst durch sein plötzliches Auftauchen am Tatort erfuhr.
    Gedankenverloren steuerte sie am Ende der Autobahn direkt auf die zwei großen, einsamen Windräder zu und verpasste dabei die letzte Ausfahrt. Abgesehen von diesen beiden, war die Strecke

Weitere Kostenlose Bücher