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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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blau, wunderte sich Wesseling, hatte sie einen Unfall gehabt?
    Und wenn Sonja im Haus lag und nicht mehr imstande war zu öffnen, durchfuhr es ihn als Nächstes. Diesem Krux und seinen gefährlichen Freunden war alles zuzutrauen.
    Ratlos schlug er mit der Faust auf die Heckklappe. Sie wippte, gab mit einem Quietschen nach und ließ sich öffnen. Ein ekliger Geruch und eine Handvoll Fliegen quollen hervor. Beides waren eindeutige Anzeichen dafür, dass im Auto etwas lag, das dort nichts verloren hatte.
    Er hielt sich die Nase zu und stützte sich mit der anderen Hand ab, das Auto gab unter Knarren und Knacken und seinem Gewicht weiter nach, er bückte sich, tastete das Paket ab und nestelte an den Schnüren, das Ganze tunlichst ohne einzuatmen.
    »Was machst du da?«
    Wesseling erstarrte, ließ seine Nase los und prustete Pollenstaub hinaus. Rückwärts entstieg er dem Polo. Er wusste, noch bevor er sich umdrehte, dass es Sonja war, der er gegenüberstehen würde. Er wusste auch, noch bevor sie ein weiteres Wort gesagt hatte, was sie als Nächstes sagen würde.
    »Was hast du in meinem Kofferraum verloren?«, war die Frage, und sie entsprach ganz und gar seinen Erwartungen.
    Wesseling nieste. »Was ist das?«
    »Das geht dich gar nichts an«, schnaubte sie, ließ ihr Fahrrad fallen und knallte die Heckklappe zu.
    »Da irrst du gewaltig«, sagte Wesseling und riss sie wieder auf. »Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn du eine Leiche im Kofferraum transportierst.«
    »Blödsinn!«, sagte Sonja und drückte die Klappe wieder zu. »Wie kommst du denn darauf?«
    Wesseling hielt sich die Nase zu.
    »Bist du erkältet?«, fragte sie ohne Mitgefühl.
    »Ich leide unter Pollen«, erklärte Wesseling, »aber ich kann immer noch gut riechen.«
    »Ach!«, wehrte sich Sonja. »Du hast ja keine Ahnung.« Sie begann die Plane wieder über den Polo zu ziehen.
    »Lass das sein!« Sie machte einfach weiter. »Lass es!«, fuhr er sie an. Sonja hielt inne. Es war der oberstaatsanwaltliche Ton in seiner Stimme, den Wesseling in Momenten wie diesen an die Oberfläche kommen ließ, und der seine Wirkung nicht verfehlte. Er zeigte auf die Haustür. »Lass uns ins Haus gehen und reden.«
    »Warum?«
    Wesseling blickte in den Himmel über ihnen. Es schien sich ein Gewitter zusammenzubrauen. »Weil es gleich regnet.«
    »Von mir aus.« Sonja ließ die Plane fallen, stieg über ihr Fahrrad und stolzierte voraus. Sie stieg die zwei Steinstufen hoch, ließ sich dreimal gegen die Haustür fallen und stolperte ins Innere.
    Ganz wie immer, dachte Wesseling, hob ihr Fahrrad auf, stellte es an die Hauswand und folgte ihr.
    Sie saßen sich in der Wohnküche gegenüber. Eine komplette Tischlänge war zwischen ihnen und auch kilometerweise Unverständnis. Sie öffnete direkt vor sich die Tischschublade und warf ein Paket Papiertaschentücher über die Tischplatte, es landete direkt vor ihm. Er rührte es nicht an, sah stattdessen entsetzt an sich herab. Sein dunkler Anzug war mit einem gelblichen Schimmer von Blütenpollen bedeckt. Sein Gesicht fühlte sich heiß und wund an. Morgen würde es übersät von kleinen Pickeln sein. Je länger die Pollen Zeit hatten einzuwirken, desto schlimmer das Resultat am nächsten Tag. Aber um eine Dusche zu bitten, wäre fehl am Platz gewesen. Und auf zurückgelassene Kleidung ihrer verflossenen Liebhaber konnte er gut verzichten.
    »Du hast mich angerufen«, sagte er und lehnte sich zurück.
    »Ja, und ich bereue es bereits.«
    »Wer ist es?«, fragte er.
    »Wer?«
    Wesseling verdrehte sie Augen.
    »Er«, murmelte sie durch ihre geschlossenen Lippen.
    »Wer?«
    »Ach, du weißt es doch längst.«
    »Wer?«, wiederholte er.
    »Krux.«
    Wesseling sah sie fragend an.
    »Herrmann Krux«, nuschelte Sonja.
    Er runzelte die Stirn. Er glaubte zu verstehen und konnte es doch nicht fassen. »Etwa dein … mit dem du … der …?«
    Sonja nickte so spärlich, dass ihre Kopfbewegung kaum als Nicken bezeichnet werden konnte.
    »Das glaube ich dir nicht.«
    »Sieh doch nach«, forderte sie ihn auf.
    »Nein, danke.«
    Wesseling wunderte sich. Warum war er nicht entsetzter? Vielleicht, weil ihm der Kerl tot am liebsten war? Die Erleichterung ließ ihn einen Augenblick lang sogar sein Pollen-Problem vergessen. Während Sonja freimütig erzählte, was Krux vermutlich widerfahren war und wie er in ihren Kofferraum gelangen konnte, wurde ihm wohler und freier ums Herz. Dass der Kerl ein Betrüger war, hätte er ihr gleich sagen können.

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