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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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ungeduldig. »Wintzen. Stand da nicht der verbeulte Kombi von Peter Reiners? Dort sind doch Ruben Graf und Sebastian Böhm angeblich von zwei schwarzen Männern überfallen worden, wie wir alle wissen.«
    »Stimmt. Wir werden das verfolgen. Aber was mich auch verwundert«, fuhr Wesseling fort und zog die Nase hoch, »ist die Tatsache, dass Krux nicht in einem der Windparks gekreuzigt wurde, die in sein Rekrutierungsgebiet fallen, das wäre doch viel naheliegender gewesen, sondern weit ab vom Schuss ganz im Osten hinter der A 1 auf dem Himberg.«
    »Das ist doch leicht zu erklären«, wusste Sonja. »Nur auf dem Himberg sind die Windräder so niedrig, dass eine einfache Gartenleiter genügt, um bis zu der Nabe und den Flügeln hochzuklettern.«
    Wesseling breitete die Arme aus. »Du musst es ja wissen. Du hast sie ja damals selbst gesehen. Du warst ja vor Ort, nicht wahr?«
    Sonja räusperte sich und schickte Wesseling einen warnenden Blick.
    »Lassen wir das«, meinte er daraufhin.
    Sie vermieden weiteren Augenkontakt. Wesseling vertiefte sich in seine rote Kladde, die er aus der Aktentasche zog. Sonja widmete sich der Beschreibung des Kleinwindrades
Lakota
.
    Und ehe sie sich‘s versah, nahm sie den Gedanken wieder auf, der sie am Anfang der Diskussion flüchtig gestreift hatte: Ein Windrad fürs Forsthaus.
    Brummer und Neugebauer kehrten zurück, und Wesseling erhob sich umständlich, zog Jackett und Schlips gerade und verkündete feierlich: »Ich habe einen Plan.«
    »Und ich hätte gern ein Windrad«, sagte Sonja mehr zu sich selbst als zu den Kollegen.
    »Für dein Forsthaus am Ende der Stromleitung?«, spöttelte Neugebauer.
    »Ich hab da keine Stromleitung gesehen«, meinte Brummer.
    »Das müsst ihr ideell sehen«, steuerte Wesseling bei.
    »Ideell! Sie liegt unterirdisch«, erklärte Sonja stolz, wie ein Hausbesitzer, der selbst den Graben ausgehoben, die Kabel verlegt und alles wieder zugeschüttet hat. Dabei lag der Fall anders. Ihr fehlte die überirdische Stromleitung, die einst am Giebel ihres Forsthauses endete und ihr, der letzten Kundin im Dorf, die nützlichen Volt ins Haus schickte, damit sie sich Licht, Tütensuppen, Nescafé und heiße Duschen gönnen konnte. Sie fühlte sich ein wenig unsicher, seit sie nicht mehr sah, woher der Strom kam. Anfangs hatte sie sich dabei ertappt, wie sie einen Lichtschalter am hellen Tag betätigte, nur um zu sehen, ob die Birne noch leuchtete. Oder die Herdplatte anstellte und die Hand darüberhielt, um zu spüren, ob sie sich erwärmte. Ein Windrad am Forsthaus, das wäre wieder sichtbarer Strom. Zu sehen, wie die Flügel sich im Wind fröhlich drehten, musste ein gutes Gefühl sein. Unabhängig, ökologisch, innovativ und idyllisch zugleich. Und die neue Hausnummer dazu: das Forsthaus am Windrad.
    Fragen, wie der Weg von der Windbö bis zur Steckdose verlief, ob sie mit der Montageanleitung eines Bausatzes allein zurecht käme, woher sie das Geld dafür nehmen sollte, ob das Windrad besser vor, neben oder hinter dem Forsthaus stehen sollte, wen sie um Hilfe bitten könnte, und was ihr Stromanbieter, ihre Nachbarn und vor allem West, der Kater, dazu sagen würden, kreisten in ihrem Kopf. Sie würde sich sogar mit dem komplizierten Innenleben eines Kleinwindrades beschäftigen müssen, denn sie hatte sich geschworen, nie wieder etwas in, neben oder hinter das Forsthaus zu holen, was sie nicht in-und auswendig kannte und einer strengen Prüfung unterzogen hatte.
    Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als Wesseling plötzlich nieste, dass die Fensterscheiben klirrten.
    Sie sah Brummer und Neugebauer zusammenzucken und dann im Chor sagen: »Einverstanden.«
    Sonja nickte stumm. Wesseling musste in der Zwischenzeit seinen Plan dargelegt haben. Er packte seine rote Kladde weg und löste die Veranstaltung mit den Worten auf: »Ihr wisst, was zu tun ist.«
    Nicht der richtige Moment, um zu sagen: Ich nicht. Sonja hoffte, dass sich ihr Part von selbst ergab.
    Wesseling stand schon in der Tür, als er sich noch einmal umdrehte und mahnend den Zeigefinder hob. »Geht mir nur ja am Sonntag eurer staatsbürgerlichen Pflicht nach!«
    Seine Mitarbeiter blickten ihn fragend an.
    »Wählen gehen!«, kommandierte er und marschierte mit großen, zackigen Schritten wie ein Feldherr davon.

16. Kapitel
    Montag, 31. August, 8.30 Uhr, und ein weißer Bus parkte neben dem Forsthaus, wo früher der weiße Polo gestanden hatte.
    Als Sonja vom Schlafzimmerfenster im ersten Stock auf das

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