Spielen: Roman (German Edition)
vor allem mit Holz, floriert hatte. Auf Schulausflügen ins Aust-Agder-Provinzmuseum wurden den Schulklassen alte niederländische und chinesische Gegenstände gezeigt, die aus jener Epoche und noch älteren Zeiten stammten. Auf Tromøya wuchsen ungewöhnliche und fremde Pflanzen, die mit den Schiffen dorthin gelangt waren, die ihr Ballastwasser abließen. Außerdem lernte man in der Schule, dass auf der Insel die ersten Kartoffeln im ganzen Land angebaut worden waren. In Snorris Königssagas wurde die Insel mehrfach erwähnt, im Erdreich von Wiesen und Feldern konnte man Pfeilspitzen aus der Steinzeit finden, zwischen den runden Steinen der langgestreckten Geröllufer lagen Fossilien.
Doch als die zugezogene Kleinfamilie mit ihrer Habe langsam das offene Gelände durchquerte, hatte weder das zehnte noch das zwölfte, weder das siebzehnte noch das neunzehnte Jahrhundert ihre Umgebung entscheidend geprägt, sondern der Zweite Weltkrieg. Das Areal war im Krieg von den Deutschen genutzt worden; sie hatten die Baracken und viele der Häuser erbauen lassen. Im Wald lagen flache Backsteinbunker, die noch völlig intakt waren, und auf den Kuppen der Uferböschungen befanden sich mehrere Artilleriestellungen. Sogar einen alten deutschen Flugplatz für Kleinflugzeuge gab es in der Nähe.
Das Haus, in dem sie das nächste Jahr über wohnen sollten, lag ein wenig abseits mitten im Wald. Es war rot gestrichen und hatte weiße Fensterrahmen. Vom Meer, das nicht zu sehen war, aber nur etwa hundert Meter unterhalb des Hauses lag, schallte gleichmäßiges Rauschen herauf. Es roch nach Salzwasser und Wald.
Der Vater setzte die Koffer ab, suchte den Schlüssel heraus und schloss die Tür auf. Hinter dieser gab es einen Flur, eine Küche, ein Wohnzimmer mit einem Holzofen, eine Kombination aus Badezimmer und Waschküche und in der oberen Etage drei Schlafzimmer. Die Wände waren nicht isoliert, die Küche war einfach eingerichtet. Kein Telefon, keine Geschirrspülmaschine, keine Waschmaschine, kein Fernsehapparat.
»Da sind wir«, sagte der Vater und trug die Koffer ins Schlafzimmer, während Yngve von Fenster zu Fenster lief und hinausschaute und die Mutter den Wagen mit dem schlafenden Kind auf dem Absatz vor der Tür abstellte.
An diese Zeit kann ich mich naturgemäß nicht erinnern. Es ist mir völlig unmöglich, mich mit dem Kleinkind zu identifizieren, von dem meine Eltern Fotos machten, ja, es fällt mir so schwer, dass es beinahe verrückt erscheint, für dieses Baby das Wort »Ich« zu benutzen, zum Beispiel, wenn es mit ungewöhnlich roter Haut, abgespreizten Armen und Beinen und zu einem Schrei verzerrten Gesicht auf der Wickelkommode liegt, an dessen Grund sich niemand mehr erinnert, oder auf einer Felldecke auf dem Fußboden liegt, in einem weißen Pyjama, immer noch rot im Gesicht und mit großen, dunklen Augen, die ein wenig schielen. Ist dieses Geschöpf identisch mit dem Menschen, der hier in Malmö diese Zeilen schreibt? Und wird dieses Geschöpf, das vierzigjährig diese Zeilen schreibt, an einem bewölkten Septembertag in einem Zimmer, das von Verkehrslärm und einem Herbstwind erfüllt ist, der durch die altmodische Lüftungsanlage heult, derselbe sein wie der grauhaarige und gekrümmte Greis, der in vierzig Jahren vielleicht irgendwo in einem Altersheim in den schwedischen Wäldern hockt und zittert und sabbert? Ganz zu schweigen von dem Leib, der eines Tages in einer Leichenhalle aufgebahrt liegen wird? Man wird ihn weiter »Karl Ove« nennen. Und ist es nicht eigentlich unglaublich, dass ein einzelner Name dies alles abdecken soll? Den Fötus im Bauch, den Säugling auf der Wickelkommode, den Vierzigjährigen am Computer, den Greis auf seinem Stuhl, die Leiche auf der Bahre? Wäre es nicht natürlicher, unterschiedliche Namen zu verwenden, da ihre Identität und ihr Selbstverständnis sich so immens voneinander unterscheiden? So könnte der Fötus Jens Ove heißen, das Kleinkind Nils Ove, der Fünf- bis Zehnjährige Per Ove, der Zehn- bis Zwölfjährige Geir Ove, der Dreizehn- bis Siebzehnjährige Kurt Ove, der Siebzehn- bis Dreiundzwanzigjährige John Ove, der Dreiundzwanzig- bis Dreißigjährige Tor Ove, der Dreißig- bis Sechsundvierzigjährige Karl Ove – und so weiter und so fort? Dann würde der Vorname das Einzigartige am jeweiligen Alter verkörpern, der mittlere Name für Kontinuität stehen und der Nachname für die Familienzu gehörigkeit.
Nein, ich erinnere mich an nichts aus jener Zeit, ich
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