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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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in Kristiansand in die Schule gehen«, erklärte er. »Warum sollte ich? Alle meine Freunde sind hier. Ich habe nur noch ein Jahr bis zum Abitur. Es ist doch sinnlos, dann noch in eine neue Schule zu wechseln.«
    Sie standen im Wohnzimmer. Yngve war genauso groß wie Vater.
    Das war mir noch nie aufgefallen.
    »Du glaubst vielleicht, dass du erwachsen bist, aber das bist du nicht«, entgegnete Vater. »Du wirst bei deiner Familie bleiben.«
    »Nein«, widersprach Yngve.
    »Oh doch«, sagte Vater. »Kannst du mir bitte mal sagen, wovon du leben willst? Von mir bekommst du nämlich keine Øre.«
    »Ich nehme ein Darlehen auf«, antwortete Yngve.
    »Wer soll dir denn ein Darlehen geben?«, erkundigte sich Vater.
    »Ich habe Anspruch auf ein Studiendarlehen«, sagte Yngve. »Ich habe mich erkundigt.«
    »Du willst ein Studiendarlehen in Anspruch nehmen, bevor du studierst?«, fragte Vater. »Na, das ist ja clever.«
    »Wenn es nicht anders geht«, erwiderte Yngve.
    »Und wo willst du wohnen?«, fragte Vater. »Das Haus hier wird nämlich verkauft.«
    »Ich miete mir ein Zimmer«, antwortete Yngve.
    »Tu das«, sagte Vater, »aber von uns bekommst du keine Hilfe. Nicht eine Krone. Hast du verstanden? Wenn du hier wohnen willst, bitte, nur zu, aber komm später ja nicht angerannt und bitte um Hilfe. Du wirst alleine zurechtkommen müssen.«
    »In Ordnung«, sagte Yngve. »Einverstanden.«
    Und so wurde es gemacht.
    Als der letzte Schultag in der siebten Klasse kam, war bereits angekündigt worden, dass ich umziehen würde, und meine Klassenkameraden seit sieben Jahren hatten Abschiedsgeschenke gekauft. Als Erstes bekam ich einen Kohlkopf, da sich mein Vorname, Karl, wie mich manche der Einfachheit halber nannten, in ihrem breiten Dialekt wie »Kohl« anhörte, was mit der Zeit zu einem Spitznamen geworden war. Außerdem bekam ich einen Stoffaffen, da ich einem Affen ähnelte.
    Das war alles.
    Dann verließen wir das Schulgebäude, in meinem Fall, um es nie mehr wiederzusehen.
    Ganz vorbei war es aber noch nicht. Am Abend sollte nämlich bei Unni eine Klassenfete stattfinden. Ein paar von den Mädchen trafen sich schon am frühen Nachmittag, um alles vorzubereiten, und zwischen sechs und sieben kamen wir anderen dann mit den Fahrrädern dazu. Die Fete wurde im Garten und im Partykeller gefeiert, und während sich die Sommerdämmerung auf die Hügel herabsenkte, auf die wir blickten, und die vielen roten Dächer der Häuser in der Siedlung im Licht der sinkenden Sonne leuchteten, lief diese Party mehr und mehr aus dem Ruder, obwohl wir gar nichts tranken. Ein Jahr voller heimlicher Gedanken und Gelüste brach sich Bahn. Es lag einfach in der Luft. Hände fanden den Weg unter T-Shirts, diesmal jedoch nicht in Form eines Überfalls oder von Brutalität, in den Fliedersträuchern im Garten wurde vielmehr nahe und heiß geatmet, Lippen begegneten sich, Lippen küssten sich, und dann machten manche Mädchen ihre Oberkörper frei und liefen mit ihren wippenden Brüsten umher, es war eine Art präpubertäre Orgie, die sich langsam steigerte, und dieselben Mädchen, die nur einen Monat zuvor verkündet hatten, sie könnten mich nicht leiden, boten sich mir eine nach der anderen an, setzten sich auf meinen Schoß, küssten mich, rieben ihre Brüste an meinem Gesicht. Die Rangordnung, in der die Mädchen eingeordnet worden waren und in der im Laufe des Herbstes manche langsam aufgestiegen und andere zurückgefallen waren, spielte dabei keine Rolle mehr, sie war in diesem Moment bedeutungslos geworden, es war gleichgültig, wer zu mir kam, ich schmiegte meinen Kopf an ihre weißen, weichen Brüste, küsste ihre dunklen, steifen Brustwarzen, strich mit den Händen über ihre Schenkel und ließ sie zwischen ihre Beine gleiten, und sie sagten nicht Nein, an diesem Abend kam kein Nein über ihre Lippen, stattdessen beugten sie sich vor und küssten mich, und ihre Augen waren dunkel und warm, aber auch verwundert, wie auch meine es gewesen sein müssen, sind das wirklich wir, die das alles tun?
    Seit jenem Sommer habe ich keine von ihnen jemals wiedergesehen, und wenn ich im Internet nach ihnen suche, um mir anzuschauen, wie sie heute aussehen oder was aus ihnen geworden ist, finde ich sie nicht. Sie gehören nicht der Klasse an, die man dort findet, sie gehören zu jener Klasse von Arbeitern und Angestellten als Eltern, die außerhalb des Zentrums aufwuchs und wahrscheinlich außer in ihrem eigenen Leben in allem anderen außerhalb des

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