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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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bezahlt.«
    Ich starrte ihn an.
    Er hielt die Hände hoch. »Jetzt schau mich nicht so an. Warum, meinst du, hab ich dich den Kaffee bestellen lassen?« Dann lächelte er grimmig. »Mach dir nichts draus, es spielt keine Rolle. Wenn die Deutschen erst mal da sind, ist der Franc sowieso nichts mehr wert.«
    Durch die Ritzen der Jalousie sah ich, dass es draußen nicht mehr ganz so finster war. »Es hellt ein bisschen auf«, sagte ich. »Offenbar war das doch noch nicht der Weltuntergang.«
    Plötzlich beugte sich der Junge nach vorn, so ruckartig, dass er fast seinen Stuhl umgeschmissen hätte. »Scheiß drauf«, zischte er. »Komm, machen wir’s!«
    Chip lächelte boshaft. »Mann, ich fürchte, du bist einfach nicht mein Typ. Vielleicht lässt sich ja Sid überreden …«
    Aber da kam die Bug und brachte den Kaffee, und das Gesicht des Jungen erlosch wieder. Er schaute die Frau nicht mal an. Aber kaum war sie gegangen, da blickte er auf, und seine Augen funkelten.
    »Wir machen es«, sagte er. »Wir nehmen diese Platte auf.«
    Ich streckte die Hand nach meiner Tasse aus. »Von was redet der Junge überhaupt?«
    Hiero starrte Chip an, als wartete er auf eine Antwort.
    »Vom Horst-Wessel-Lied, nehme ich an«, sagte Chip. »Das willst du aufnehmen, oder?«
    Jetzt wandte sich Hiero mir zu. Sein Gesicht hatte einen besonderen Glanz, seine Haut strahlte ein fiebriges Licht aus wie Hitze. Ich schluckte nervös. Es war gefährlich, so in
der Öffentlichkeit deutsch zu sprechen. Wir rückten näher zusammen.
    »Es stimmt, was Armstrong gesagt hat«, flüsterte Hiero. »Wir müssen es machen. Vielleicht sind wir in ein paar Tagen schon alle tot.«
    »Wir haben keine zweite Trompete«, sagte Chip.
    »Coleman«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. Nur er kam in Frage, das war so klar wie nur irgendwas. »Billy macht bestimmt mit. Wenn er noch hier ist.«
    »Und wo sollten wir das Stück aufnehmen?«, fragte Chip. Er trank lässig einen Schluck Kaffee, aber ich sah ihm an, dass er angestrengt nachdachte. »Vielleicht weiß Delilah was. Was meinst du, Junge? Bist du nicht zu krank dafür?«
    Hiero verzog finster das Gesicht.
    Und plötzlich fühlte ich diese Leichtigkeit in mir, diese sanft kitzelnde Aufregung. Wie ein Echo von etwas, das ich schon einmal, in einem anderen Leben, empfunden hatte. »Okay, Leute, wir machen es«, sagte ich mit Armstrongs rau grunzender Stimme. »Wir machen Geschichte.«
    Chip schnitt eine Grimasse. »Lass das lieber. Du klingst wie ein Volltrottel.«

    Das Sonnenlicht flutete über die Stadt. Delilah ging auf der Schattenseite die Straße entlang, überquerte die Fahrbahn, ging ins Haus und trat nach einer Weile durch die Tür der Wohnung. Sie bewegte sich langsam, als hätte sie schlechte Nachrichten für uns. Der Junge schaute sie ängstlich an. Aber da zog sie einen verrosteten Schlüsselbund hervor und legte ihn auf das Sideboard.
    »Das Studio ist nicht weit von hier«, sagte sie. »Es ist allerdings alt und ziemlich primitiv.«
    Hiero zitterte vor Kälte in seinen Decken.
    »Das ist egal«, sagte ich. »Solange es nur funktioniert. Hast du mit Coleman gesprochen?«
    »Billy macht mit.«
    Sie hatte schon eine amerikanische Flagge an einem Fenster der Wohnung angebracht, damit die Deutschen uns in Ruhe ließen. Die Wohnviertel überall in Paris leerten sich, immer größere Massen strömten zu den Bahnhöfen. Allerdings kamen dort keine Züge mehr an. Den ganzen Tag über und bis in die Nacht hinein hörten wir jetzt ständig das Donnern von Artilleriefeuer, das immer näher kam. Wir lagen wach und lauschten dem Krieg und Hiero, der im Schlaf stöhnte. Unsere eingeschrumpften Mägen knurrten unter unseren Händen. Wir hatten Hunger. In den Bistros gab es nichts als Zwiebelsuppe, auf den Märkten bestenfalls verschrumpelte Karotten, die man gleich hinter dem Bois de Boulogne aus der Erde gezogen hatte. An diesem Tag stellte die Post den Betrieb ein. Mit dem Telefon konnte man nur noch Ortsgespräche führen. Wir waren endgültig von der Außenwelt abgeschnitten.
    »Die knallen uns alle ab, und keiner fragt danach«, sagte Chip. »Wir sind dann einfach nicht mehr da.«
    »Heute Abend fangen wir mit den Proben für die Aufnahme an«, flüsterte der Junge mit zusammengebissenen Zähnen.
    Delilah lachte bellend. »Das kannst du meinetwegen noch tausendmal wiederholen, aber ich sag dir: Heute Nacht wird geschlafen , und morgen sehen wir dann, ob es dir besser geht.«
    »Ich bin gesund genug«,

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