Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
Vom Netzwerk:
nicht auf.
    Eine schwere Dunkelheit lag über der leeren Stadt, der Morgenhimmel war pechschwarz. Eine dünne Schicht Asche zog sich über das Pflaster, die Straßenlaternen und die Rollläden vor den Fenstern. Die Straßen wirkten heruntergekommen, trostlos. Wir gingen durch die unnatürliche Dunkelheit. Von fern war das Donnern von schweren Geschützen zu hören; hin und wieder ließen Ausläufer von Luftdruckwellen Fensterscheiben erzittern.
    Unsere Schritte hallten auf leeren Plätzen. Die Rollläden der Geschäfte waren heruntergelassen, in den Wohnungen brannte kein Licht. Nicht einmal Tauben waren zu sehen.
    »Scheiße«, murmelte Chip. Er wischte sich übers Gesicht. Seine Handfläche war ganz schwarz.
    »Was ist das?«, fragte Delilah. »Kohle? Haben sie die Kohlelager angezündet?«
    »Sie liefern uns den Deutschen aus«, sagte ich. »Sie werden die Stadt nicht verteidigen. Die hauen ab, solange sie noch können.«
    Chip grunzte mürrisch.
    Der Junge sagte nichts. Er trottete hinter uns her, den Kopf gesenkt, sodass man sein Gesicht nicht sehen konnte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, lehnte sich, von Hustenkrämpfen geschüttelt, an eine Hausmauer und spie zähen schwarzen Schleim aus. Es war, als wäre die Finsternis bis in seine Lungen vorgedrungen.
    Wir gingen mitten auf der Champs-Élysées zwischen Pan
zersperren und Stacheldraht. Nirgendwo brannte Licht, keine Menschenseele weit und breit.
    Nach einer Weile blieb Delilah stehen und nickte uns mit düsterer Miene zu.
    »Was ist los?«, fragte Chip.
    »Ich gehe jetzt, ich habe was zu erledigen. Wir sehen uns später in der Wohnung.« Sie sah den Jungen an. »Sei vorsichtig.«
    Er sagte nichts, starrte sie nur an mit seinen tief eingesunkenen Augen.
    »Wär’s nicht besser, du würdest einen von uns mitnehmen?«, sagte ich. »Nur zur Sicherheit.«
    »Delilah weiß sich zu helfen«, sagte Chip. »Die kommt alleine zurecht, stimmt’s?«
    »Stimmt.« Sie verschwand in der Dunkelheit.
    Keiner fragte, wo sie hinwollte.
    Wir hatten kein bestimmtes Ziel im Kopf. Wir überquerten die Seine und gingen dann weiter nach Osten. Schließlich kamen wir wieder zum Boulevard Saint-Michel, auf dem immer noch Flüchtlinge nach Süden zogen. Stumm sahen wir ihnen zu. Achsen quietschten, die Räder von Karren ratterten übers Pflaster. Ein Pferd mit scharf hervortretenden Rippen stampfte nervös. Leise und stetig tappten die müden Schritte der Menschen, wie fließendes Wasser, wie das Rauschen des Windes im Gras.
    Diese Leute waren nicht aus Paris. Sie kamen von weiter nördlich, aus den Kampfgebieten. Ich sah keine scharf gezeichneten Gesichter, nur den verwaschenen bleichen Ausdruck von Elend und Missmut und Niederlage. Ich zog die Schultern hoch und vergrub die Hände in den Taschen.
    Nach einer Weile stapften wir heimwärts und kamen am Bug vorbei. Die Rollläden waren heruntergelassen, und das Lokal war nur schummrig mit Kerzen beleuchtet, aber es war geöffnet.
    Ich stützte die Ellbogen auf die Theke. »Drei Café au Lait.«
    Die Besitzerin warf mir einen sonderbar feindseligen Blick zu und nickte. Ihre grauen Haare standen zerzaust von den Schläfen ab. Sie kratzte sich an einer räudig aussehenden Stelle auf ihrem Handrücken und musterte mich angespannt.
    »Was ist?«, fragte ich.
    Sie runzelte die Stirn, räusperte sich. »Sie müssen vorher zahlen«, sagte sie.
    »Soll das ein Witz sein. Hören Sie, Sie kennen uns doch.«
    Sie zuckte die Achseln. »Die Zeiten haben sich geändert.«
    Fluchend kramte ich in meiner Hosentasche. Wir hatten das Geld, das uns Ernst mitgegeben hatte, unter uns aufgeteilt; jeder hatte gleich viel bekommen, aber mittlerweile waren unsere finanziellen Verhältnisse sehr unterschiedlich: Während Chip überhaupt keine Geldsorgen zu kennen schien, drehten Hiero und ich jeden Centime zweimal um, bevor wir ihn ausgaben. Nach einer Weile zog ich endlich ein paar zerknüllte Geldscheine hervor und legte sie auf den Tresen.
    »Ich krieg doppelt so viel«, sagte sie.
    »Jetzt ist aber endgültig klar, dass Sie mich verscheißern wollen.«
    Sie hielt meinem Blick stand. Das eine ihrer Glubschaugen sah glasig grau aus. Es war mir vorher noch nie aufgefallen, aber jetzt fand ich es entschieden unheimlich. Ich kramte mit finsterer Miene noch mehr Geld hervor und setzte mich dann zu Chip und dem Jungen an den Tisch.
    »Du glaubst es nicht, was das gekostet hat«, sagte ich.
    »Doppelt so viel wie früher«, sagte Chip. »Und du hast im Voraus

Weitere Kostenlose Bücher