Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
Vom Netzwerk:
du nichts machen.«
    Ein Kratzen war zu hören, dann flammte ein Streichholz in Hieros knochiger Hand auf. Seine Augen lagen tief im Schatten. »Wir spielen. Wir haben sowieso nichts anderes zu tun.«
    »Aber wir können nichts aufnehmen , Mann.«
    Der Junge wandte sich ab.
    »Irgendwann wird’s schon wieder Strom geben, keine Sorge«, sagte Coleman. »Und dann schneiden wir die Platte.«
    Jemand hatte einen Kerzenstummel gefunden und auf ein umgedrehtes Glas geklebt, das nun auf einem Stuhl in der Mitte des Studios stand. Ich schaute mich um. Es war ein ziemlich kleiner Raum mit einer merkwürdig hohen Decke. Die schallisolierten Wände waren so voller Löcher, als hätte in dem Studio ein Feuergefecht stattgefunden. Die weiß gestrichenen Bodenbretter knarzten, sobald man nur ein bisschen sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte.
    »Das klingt bestimmt toll auf der Platte«, knurrte Chip.
    Der Junge stand in einer dunklen Ecke und starrte uns an. Er sah richtig unheimlich aus. Seine Augen waren praktisch nicht zu erkennen.
    Ich zuckte die Achseln. »Also, dann wollen wir mal.«
    Na ja, ich war ganz schön nervös. Ich hatte nicht mehr gespielt seit diesem verdammten Vormittag mit Armstrong – es kam mir vor, als wäre das in einem anderen Leben gewesen. In dem flackernden Licht strich ich über die glatten Saiten. Ich hatte so ein bitteres Gefühl, als hätte ich mir viel zu lange was vorgemacht. Aber dann dachte ich: Es spielt überhaupt keine Rolle mehr. Es ist egal, wenn du wieder ins Stolpern kommst. Du musst nichts mehr beweisen.
    In der Ecke stand ein Schlagzeug. Coleman blies seine Trompete durch. Ich schaute den Jungen an, er schaute mich an, und dann zählte Chip das Tempo vor. Einfach so, ohne langes Gequatsche. Wir stiegen in die Musik ein, als hätten wir alle eine Fahrkarte für denselben Zug.
    Und es fühlte sich richtig an. Ich lehnte mich einfach an Chip an, ich brauchte immer bloß mit meinem Bass die Leitern hinauf- und hinunterzusteigen, die er mir hinstellte. Coleman kam dazu mit dem hellen, schmetternden Schrei sei
ner Trompete. Er klang voll, satt, aber auch irgendwie gequält, strahlend und zugleich ernst.
    Plötzlich sah mich Chip aus seiner dunklen Ecke überrascht an.
    Der Junge wirkte, als hörte er gar nicht richtig zu. Er hielt sein Instrument erstaunlich lässig, irgendwie labbrig, und entlockte dem Blech ein merkwürdiges leises Stöhnen. Es war, als wäre da eine mühsam unterdrückte Panik, ein Chaos kurz vor dem Ausbruch, und Hiero selbst wäre der Deckel obendrauf.
    Ich nahm mich zurück, als er einsetzte; ich hatte Angst, dass wir ihn in diesem kleinen Kabuff übertönten. Aber er wurde mit mir leiser, ließ unsere Melodien verschwimmen. Dann schmetterte er einen reinen strahlenden Ton, und ich dachte mein Gott!
    Ich hätte heulen können. Es klang, als würde etwas fest, als dickte etwas Wässriges endlich ein. Es war eine erwachsene Musik, sie redete vom Älterwerden, davon, wie das Herz eines Mannes das wilde Feuer der Jugend zügelt. Ja, das war es. Es war die Musik des Jungen, der erwachsen wurde. Als ob er etwas von der ungeheuren Traurigkeit des alten Armstrong angenommen hätte.
    Und es sprang auf mich über, sodass sogar ich klang wie von einem anderen Stern, in einer Art hot , die einfach überirdisch war. Und da wurde mir plötzlich klar, was der Junge mit mir machte. Nur weil ich mit zusammenspielte, kam ich aus meinem Trott. Allein war ich nichts, nur einer, der im Hintergrund stur den Takt zupfte. Aber der Junge, seine Trompete gab mir irgendwie Auftrieb, pushte mich, sodass ich auf gleicher Augenhöhe mit ihm spielte. So als hielte er mich im Takt statt andersrum.
    Vielleicht war das der Moment, in dem ich mir endlich selbst verzieh, dass ich versagt hatte. Vielleicht war es der Klang der Vergebung, den ich in meinem Bass hörte. Denn in dieser Nacht, als wir bei Kerzenlicht in dem winzigen Raum swingten, kamen alle Kämpfe in mir zur Ruhe.
    Ich bin mir ganz sicher, dass das das Größte war, was ich in meinem Leben mitgemacht habe.
    Wir alle waren frei, Mann. Diese eine Nacht lang zumindest waren wir frei.

    Am nächsten Morgen wurden wir von einem dumpf dröhnenden Geräusch geweckt, das durch den Fußboden drang und die Fensterscheiben erzittern ließ. Ich dachte zuerst, es wäre ein Traum von all dem Jazz, den wir gespielt hatten. Aber dann wachte ich richtig auf. Das Blut pochte heftig in meinen Schläfen. Ich stand auf, zog die

Weitere Kostenlose Bücher