Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
Vom Netzwerk:
protestierte Hiero schwach. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    »Glaubst du, die Deutschen interessiert es, dass du krank bist? Die marschieren durch die Stadt und schießen auf alles, was sich bewegt. So krank, wie du bist, kannst du auf gar keinen Fall auf die Straße gehen.«
    Der Junge zitterte.
    Chip stand in Gedanken versunken am Fenster.
    »Reg dich nicht auf, Mann«, sagte ich leise. Ich nahm meinen Bass aus dem Kasten und überprüfte genau die Saitenlage. Ich sah den Jungen an. »Wir machen das. Wirklich, ich schwör’s dir. Und wenn die aus allen Rohren schießen, es ist egal: Sobald du wieder fit bist, fangen wir an. Aber du kannst keine Platte aufnehmen, solange du kaum Luft kriegst.«
    Wir hatten alle eine Scheißangst. Aber am nächsten Morgen kam es in den Nachrichten, und es stand auf Plakaten, die überall an den Wänden klebten: Paris war eine offene Stadt. Es würde keine Kämpfe geben.
    Jeder, der jetzt die Hand gegen die Krauts erhob, machte sich strafbar.

    Half Blood Blues, so nannte der Junge unsere Version des Horst-Wessel-Lieds. Das Stück war kein echter Blues, es hatte nicht die richtige Akkordfolge, aber das kümmerte ihn nicht. »Das Blues-Schema«, sagte er und hustete wie blöd, »war noch nie das, worauf’s wirklich ankommt beim Blues.«
    Scheiße, Mann, dachte ich, heutzutage wissen die meisten gar nicht mehr, dass es noch was anderes gibt.
    Am nächsten Abend knallte der Junge die Wohnungstür zu, überzeugte sich davon, dass das Schloss auch wirklich zugeschnappt war, und dann machten wir uns auf den Weg. Es nieselte, die Straßen und Plätze waren menschenleer. Hiero,
den Kasten mit Armstrongs Trompete unter den Arm geklemmt, ging mit hochgezogenen Schultern, den Kopf gesenkt. Von Norden hörten wir das dumpfe Geräusch von Explosionen. Das war die Artillerie der Deutschen. Die Straßenbeleuchtung brannte nicht, wir stapften mit schweren Schritten durch die Dämmerung.
    »Wo genau gehen wir hin?«, fragte ich.
    Hiero drehte den Kopf, zwinkerte hektisch, weil ihm rußiger Regen in die Augen lief, hustete. Seine Augen glänzten fiebrig. »Wir gehen arbeiten.«
    Chip schnaubte. »Du meinst, wir gehen Musik machen .«
    »Na, wie auch immer, ihr könntet ruhig einen Zahn zulegen«, sagte ich. »Ich will nicht die ganze Nacht hier rummarschieren. Außer einer von euch nimmt mir mal für eine Weile den Bass ab.«
    Überall an geschlossenen Rollläden und an Laternenpfählen klebten diese Plakate, die darüber informierten, dass Paris zur offenen Stadt erklärt worden war, viele davon nur noch nasse Fetzen, die sich bereits auflösten. Scheiße, dachte ich, wenn’s mal losgeht, geht’s verdammt schnell.
    Wir bogen um eine Ecke in eine dunkle Gasse. In einem Türeingang lehnte eine reglose Gestalt. Chip beobachtete sie ängstlich gespannt, doch dann bewegten sich die Umrisse und traten hinaus in den Regen. Es war Bill Coleman.
    Chip atmete auf. »Mann, ich dachte, das ist eine Knarre.« Er zeigte auf die Trompete, die Coleman in der Hand hielt.
    »Ah, aber gehofft hast du was anderes, so wie ich dich kenne.« Coleman grinste. »Na, alles okay bei euch?«
    Wir nickten erleichtert, dann sahen wir zu, wie Hiero den rostigen Schlüsselbund aus der Tasche zog, an die schmale, weiß gestrichene Haustür trat und einen Schlüssel nach dem
anderen ausprobierte. Sein Gefummel machte mich ganz nervös; andauernd schaute ich zu den schwarz verhängten Fenstern auf der anderen Straßenseite hinüber. Aber dann kriegte er das Schloss endlich auf und öffnete die Tür. Im Dämmerlicht, das von der Straße einfiel, konnte man einen schmalen Flur mit Fliesenboden erkennen, dahinter war es dunkel. Es stank nach Rattenscheiße und nach irgendeinem stechend scharfen Putzmittel. Ich sah den Jungen streng an. Er zuckte die Achseln.
    »Geht rein«, sagte er. »Auf was wartet ihr?«
    Er schloss die Tür hinter uns.
    Chip tastete nach einem Lichtschalter. »Scheiße, das Licht funktioniert nicht.«
    »Nicht nur das Licht«, sagte Coleman. »Der Strom ist abgeschaltet.«
    Chip ließ eine ganze Serie ordinärer Flüche vom Stapel. Ich musste grinsen, als ich ihn so hörte. Dann rumpelte es, und Chip fing von Neuem zu fluchen an. »Was für ein Idiot hat diese gottverdammten Scheißstühle mitten in den gottverdammten Scheißflur gestellt?«
    Ich wischte mir mit beiden Händen das regennasse Gesicht ab. »Wie sollen wir eine Platte schneiden ohne Strom?«
    »Es ist Krieg, Mann«, sagte Coleman. »Da kannst

Weitere Kostenlose Bücher