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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Verdunkelungsvorhänge auf und steckte mein verschlafenes Gesicht zum Fenster raus ins helle Sonnenlicht. Die Straßen waren leer, nichts als graue Pflastersteine. Aber das stetige Dröhnen, das von den Gebäuden und über die Plätze hallte, war jetzt deutlicher. Es war das Geräusch von Stiefeln. Tausende von Stiefeln marschierten übers Pflaster.
    »Scheiße.« Chip gähnte. »Sag mir, dass das nicht an meinem Kopf liegt.«
    »Es hat nichts mit deinem Kopf zu tun.« Ich räusperte mich und spuckte zum Fenster hinaus. Dann drehte ich mich wieder um. »Es sind die Krauts.«
    Es war der vierzehnte Juni.
    Der Junge bibberte.
    »Wie geht’s ihm?«
    Chip beugte sich zu Hiero hinunter und zog seine Decke
höher. Der Junge blinzelte nicht mal. »Ich glaub, die Probe heute Nacht war zu viel für ihn. Er hat sich total verausgabt. Was meinst du?«
    Ich wusste es nicht. In meinen Fingerspitzen spürte ich immer noch den Rhythmus dieser Musik pochen. Ich war nervös, irgendwie ängstlich angespannt. Ich ging zur Tür und knipste das Licht an. Es gab wieder Strom.
    »Na ja, immerhin«, sagte Chip. »Jetzt, wo es Tag ist, haben wir wieder elektrisches Licht.«
    »Auf die Deutschen kann man sich eben verlassen.« Ich hob den Arm. »Sieg heil!«
    Aber sein Gesicht blieb ernst.
    »Wir müssen weg, Sid«, sagte er leise. »Wir können nicht hierbleiben, das ist dir doch klar, oder?«
    Aber in mir steckte immer noch ein Rest Euphorie von der Session. »Wir sind Yankees, Mann. Wieso sollen wir nicht bleiben können? Das ist schließlich nicht unser Krieg.«
    »Es sind schon Leute umgebracht worden, bloß weil sie doof waren. Das kannst du dir nicht vorstellen, oder?«
    »Jetzt mach dich nicht verrückt, Mann«, sagte ich. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die in Paris nach dir fahnden. Was wissen die hier davon, was in Berlin passiert ist?«
    »Ich hab von doofen Leuten geredet, also nicht von mir.« Aber er war nicht überzeugt. Er starrte bedrückt zum Fenster hinaus in den blauen Himmel. »Der ganze Rauch ist über Nacht verflogen.«
    »Klar. Genau das richtige Wetter, um in eine Stadt einzumarschieren.«
    Delilah kam in ihrem seidenen Morgenrock aus ihrem Zimmer. Sie blieb in der Tür stehen und musterte uns. Ihr Gesicht war bleich. »Sie sind da«, sagte sie.
    Wir zogen uns an und verließen die Wohnung, Delilah, Chip und ich. Den Jungen ließen wir schlafen; ein bisschen Ruhe konnte ihm nur guttun. Unsere Pässe nahmen wir mit.
    »Wo wollen wir frühstücken?«, fragte Chip, als wir auf die stille Straße traten.
    Ich schaute hinauf zu den Fenstern gegenüber. Die Leute, die dort wohnten, waren sicher längst aus der Stadt geflüchtet.
    Delilah gab ihm keine Antwort.
    Chip runzelte die Stirn. »Ach so, wir gehen gar nicht frühstücken? Was soll das? Klar, die Deutschen sind da, aber davon weiß doch mein Magen nichts. Lass uns wenigstens im Bug einen Kaffee trinken.«
    Aber das Bug lag nicht auf unserem Weg. Wir gingen in Richtung der Place de la Concorde. Da und dort sahen wir Leute an Straßenecken herumstehen, ein paar Händler stellten Marktstände auf. Ich hatte die ganze Zeit ein komisches Gefühl. Mir war leicht schwindlig, irgendwie so, als befänden wir uns in einem sonderbaren Traum. Eine Frau auf einem Fahrrad fuhr vorbei. Sie weinte. Ich hörte Chip leise fluchen.
    Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich den ganzen Morgen lang keinen Kanonendonner gehört hatte, nur dieses ferne Dröhnen unter dem Pflaster. Wir gingen immer weiter, vorbei an geschlossenen Bistros, an geschlossenen Apotheken und Cafés. Die Leere des blauen Himmels über uns war schrecklich.
    Wir kamen zur Place de la Concorde, wo sich eine Menschenmenge versammelt hatte. Ich sah einen deutschen Panzer, der blitzte und blinkte, als wäre er frisch gewaschen, in der Luke ein grau uniformierter deutscher Soldat mit Stahl
helm. Auf den Dächer umliegender Gebäude waren Geschütze aufgestellt. Und tausende, abertausende von deutschen Soldaten marschierten in Reih und Glied vorbei.
    Wir drängelten uns durchs Gewühl bis zu einer Stelle, von wo wir die Szene gut überblicken konnten. Ich schluckte andauernd, meine Kehle war total ausgetrocknet. Die Deutschen marschierten die Straße entlang und über den Platz. Die Köpfe der Soldaten drehten sich mit einem scharfen Ruck nach rechts, wenn sie an ihren Kommandeuren vorbeidefilierten und zackig salutierten. Überall wuselten deutsche Fotografen herum, knieten sich hin, um die Parade bis ins kleinste

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