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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Hiero nach einer Weile. »Ich weiß, dass du noch da bist. Sid?«
    »Ich bin da«, murmelte ich. Und weil ich wusste, dass er immer noch auf eine Antwort wartete, sagte ich: »Na ja, ich bin eben unbegabt. Das ist was anderes als bei euch.«
    »Du meinst, das macht es leichter, aufzugeben?«
    Ich wurde rot. »Es ist nicht leichter. Es ist bloß was anderes. Nach dem Krieg und allem wollte ich einfach nicht mehr spielen.«
    »Wieso nicht?« Hiero ließ nicht locker.
    »Keine Ahnung.« Ich öffnete hilflos die leeren Hände und schaute durch das Halbdunkel zu Chip hinüber. Er schwieg. »Keine Ahnung«, sagte ich noch einmal. »Die Musik sollte ein Ausdruck von Freude sein. Und ich konnte diese Freude nicht mehr darin finden.«
    Chip mischte sich ein. »Das versteh ich nicht. Das versteh ich überhaupt nicht.« Er klang frustriert. »Die Musik ist die Freude. Du musst einfach spielen, dann findest du sie wieder.«
    Hiero verzog traurig das Gesicht. »Es gibt alle möglichen Arten von Leben, Chip. Manche fordern immer nur, andere geben dir was. Die Kunst, der Jazz, das ist ein Leben, das dir was gibt. Du kriegst was vom Publikum, du kriegst was von dir selber.«
    »Und zwar nicht zu knapp.«
    »Was gibt dir die Kunst denn schon, Chip?«, fragte ich. »Du bist ein großer Künstler, aber ein elender Mensch.«
    Chip drehte schweigend sein Glas hin und her.
    Hiero sagte nichts.
    Nach einer Weile sagte Chip: »Ich sag euch was: Die Welt ist verdammt schön. Aber die Schönheit ist der reine Zufall, darauf haben wir keinen Einfluss. Was wir machen , ist unsere Entscheidung. Das ist der einzige Trost, den man hat und den man anbieten kann.« Er sah Hiero lange nachdenklich an. »Du schuldest der Welt nichts, das weiß ich schon. Und du bist ein guter Mensch. Aber deine Musik fehlt mir mehr, als ich sagen kann. Es bricht mir das Herz. Mein ganzes Leben lang hab ich diese brutale Leere mit mir rumgeschleppt, diese Sehnsucht nach deiner Musik, die so verdammt schön ist. Das macht mich ganz fertig, wenn ich dran denke.«
    Hiero streckte in dieser verblüffenden zielsicheren Art, die Blinde an sich haben, den Arm aus und fasste Chips große Pratze im Dunkeln.
    »Das ist vorbei«, sagte er. »Das war in einem früheren Leben.«
    Mir war ganz elend und trostlos zumute. Ich räusperte mich und stand schwankend auf. »Ich glaube, ich muss jetzt ins Bett. Ich bin nicht mehr der Jüngste.«
    »Bitte«, sagte Hiero, »wenn es dir nichts ausmacht, dass wir dann die ganze Nacht lang über dich reden.«
    Ich schaute ihn scharf an. Er lächelte – es war nur ein harmloser Scherz gewesen.
    »Nur zu«, sagte ich. »Ich fürchte bloß, das Thema ist so uninteressant, dass ihr bald darüber einschlafen werdet.«
    Hiero stand auf und klopfte mit den Knöcheln auf die Tischplatte. »Schenk mir noch einen ein, Chip. Ich bin gleich wieder da.«
    Er führte mich durch einen dunklen Gang, in dem es nach süßem Gebäck roch, in ein kleines, einfach möbliertes Zimmer. Durch das Fenster sah ich den dunklen Himmel über den Feldern, gesprenkelt mit Millionen Sternen.
    »Das Bett ist frisch bezogen«, sagte Hiero, die Hand auf der Türklinke. Er zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Was willst du mehr vom Leben?
    »Danke«, sagte ich. »Danke, Thomas.«
    Sein Gesicht war immer noch dem Fenster zugewandt. »Es freut mich, dass du gekommen bist, Sid. Ich dachte … Es freut mich.«
    Ich spürte diesen Kloß im Hals, der mir fast die Luft abdrückte. Ich schluckte. »Das ist echt ein Ding, dich so wiederzusehen.«
    »Wie, so ?«
    Ich zuckte die Achseln, dann wurde mir bewusst, dass er das nicht sehen konnte. »Ich meine, dass du noch am Leben bist.«
    Er lächelte melancholisch. »Ja, und wenn wir Glück haben, leben wir beide auch morgen noch. Also dann, schlaf gut.«
    Er schloss die Tür. Ich saß auf dem Rand des Betts in dem dunklen Zimmer und wusste, dass ich ihm sagen musste, wie das damals mit den Visa gewesen war. Das war so klar wie nur irgendetwas. Darum war ich hergekommen. Nicht, um einen Freund wiederzufinden, sondern um ihn endgültig zu verlieren.

    Ich schlief. Aber was ich sah, war kein Traum. Die Zeit war aufgehoben, existierte nicht mehr, und dann war ich wieder mittendrin. Ich sah, wie Hiero sich zusammen mit lauter rostigen Eisenstatuen in einer Reihe aufstellen musste. Dann musste er vortreten. Die SS -Männer konnten es gar nicht fassen; sie rieben an seiner Haut, um zu prüfen, ob die schwarze Farbe abging. Sie hielten ihn für

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