Spiels noch einmal
Während wir schnaufend weitergingen, beschlich mich ein ganz komisches Gefühl, als würden wir beobachtet.
Dann kamen wir um eine Kurve zu einer Wiese, und da sahen wir es.
Zuerst dachte ich, es wäre eine Ansammlung von Schrott, irgendeine kaputte Maschine. Über zwei Meter hoch, aus verbogenem Eisenblech getriebene Gebilde. Die tiefen lee
ren Augenhöhlen starrten voller Schrecken zum Himmel. Es war ein monströses menschliches Gesicht.
Wir standen staunend davor. Chip pfiff leise, stellte sein Gepäck ab und ging durchs Gras auf das Monstrum zu.
»Hey, was hast du vor, Chip?«, rief ich. »Lass das.«
»Was ist das wohl?«, fragte er. Er fuhr mit der Hand über das Eisen. Ich trat näher. »Schau mal, diese Dellen und Kerben. Das kommt nicht vom Wetter. Kannst du dir vorstellen, was für eine Wahnsinnsarbeit das gewesen sein muss?«
»Nein«, sagte ich. »Und du auch nicht. Gehen wir?«
Aber Chip trat ein paar Schritte zurück und schaute das Ding wie gebannt an. »Du wirst es mir nicht glauben, ich meine, du wirst denken, ich spinne. Aber an was erinnert dich das?«
Ich sagte nichts.
»Sieht das nicht ein bisschen dem Jungen ähnlich?«
»Außer dass es keine Augen hat«, sagte ich.
Aber es stimmte, es sah Hiero wirklich ähnlich.
»Komm«, sagte ich. »Das ist unheimlich. Gehen wir.«
Chip schüttelte den Kopf und ging zurück zum Weg. »Unheimlich findest du das?«, sagte er. »Ich weiß nicht. Mir kommt es eher traurig vor.«
Weiter vorne am Weg ragte eine zweite verrostete Skulptur auf. Es war ein menschlicher Körper, gut drei Meter hoch, die Beine unterwürfig eingeknickt, die Arme schrecklich verdreht. Der Kopf fehlte, nur ein langer Hals war da.
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte ich.
Chip ging weiter. Es gab noch mehr Skulpturen. Kaputte eiserne Stühle, von denen schmelzende Gesichter tropften, knorrige Hände, so groß wie Windmühlenflügel. Ungeheure
Schaufeln mit Händen dran ragten aus dem hohen Gras oder waren schon umgefallen.
Dann kamen wir durch ein letztes Lärchenwäldchen, und da war das Haus. Verdammt, so etwas war mir in meinem ganzen Leben noch nie begegnet. Es sah verrostet aus wie diese unheimlichen Skulpturen und hatte eine langgestreckte Holzveranda. An der grauen Wand dahinter, halb verdeckt von vergilbten Zeitungen, Gummistiefeln und alten Tischen, lehnten und hingen Unmengen von Schaufeln und Leitern. Es gab drei Eingangstüren in Abständen von gut drei Metern nebeneinander. Alle standen offen.
Chip schaute mich ungläubig an. »Hier wohnt er?«
Ich zuckte die Achseln. Wir ließen das Gepäck stehen und gingen zögernd auf das Haus zu. Chip stieg die knarzenden Stufen hinauf zur Veranda. Er steckte den Kopf durch eine der Türen. »Hallo?«, rief er. »Hallo?«
Keine Antwort.
Er warf mir einen Blick zu, streifte seine Schuhe ab und trat ein.
»Halt, Chip«, rief ich.
Ich wollte ihm nach, aber plötzlich waren meine Beine wie abgestorben. Ich spürte sie überhaupt nicht mehr. Meine Hände fingen zu zittern an. Ein ganz sonderbares Gefühl überkam mich. Eine ungeheure Hitze lief durch meinen Körper. Und dann war es vorbei, und mich fröstelte.
Ich stolperte hinter Chip her in eine Küche. Überall helles Holz: Wände, Boden, Tisch und Stühle, das große Regal, sogar die Küchenutensilien, die über dem alten Herd hingen, alles war aus Holz. Ich fühlte mich wie in einem Birkenwäldchen. Und nirgends das kleinste bisschen Unordnung. Hinter einem Türbogen sah ich in einen Essbereich. Gerahmte Mo
saiken hingen an der Wand, farbenprächtige abstrakte Bilder und afrikanische Masken. Ein kleiner Esstisch mit einem Stuhl stand da. Das ganze Haus roch köstlich, wie Brandy.
Chip stand an der Arbeitsplatte und schaute zur Tür. »Hallo?«, rief er. Er warf mir einen fragenden Blick zu. Wir horchten gespannt.
Ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist er nicht da«, sagte ich.
Aber da hob Chip die Hand.
Und dann hörten wir etwas. Ein gedämpfter Laut, wie wenn eine Tür geschlossen wird. Und dann rief eine Stimme: »Kto tam jest?«
Ich erstarrte. Die Stimme klang älter, rostig, und ich verstand kein Wort. Aber ich erkannte sie wieder.
Alles schien sich zu verlangsamen. Wie in einem Traum glitten wir durch das Licht wie durch das klare Wasser eines Sees. Durch den Türbogen traten wir in den hellsten Raum, den ich je gesehen habe: große, hohe Fenster, durch die Tageslicht einströmte, und dieses Licht strahlte zurück von dem hellen
Weitere Kostenlose Bücher