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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Holz.
    Wir blieben stehen. Auf der anderen Seite des Raums in einem rissigen alten Ledersessel, Haare und Bart vollkommen weiß im Kontrast zu der schwarzen Haut, saß der Mann, den ich all die Jahre lang für tot gehalten hatte.
    »Kto tam jest?«, sagte er noch einmal und runzelte die Stirn. »Ewa?«
    »Hi, Junge«, sagte Chip leise.
    Der alte Mann schien es nicht zu verstehen. Er drehte den Kopf in Chips Richtung, seine Augen starrten durch ihn hindurch. Und dann sah ich, wie sein Gesicht sich öffnete, es blühte richtig auf.
    »Chip?«, sagte er. Und dann in einem Deutsch, das etwas eingerostet klang: »Bist du es, Chip?«
    Mein Gott. Ich sah seine milchigen Augen, dann wandte er das Gesicht ab, kippte ganz leicht den Kopf und horchte. Da verstand ich erst.
    Der Junge war blind .
    Chip ging zu dem Sessel und beugte sich zu Hiero hinunter. »Ich bin’s, Chip.« Und dann schlang er den einen Arm um Hiero und dann den anderen und zog den Jungen aus seinem Sessel, und sie umarmten einander.
    »Hoch mit dir.« Chip lachte. Er trat einen Schritt zurück und musterte Hieros Gesicht, seine Wangen, die noch magerer waren als früher, den Bart, weiß wie feine Asche. Und er hatte immer noch diesen ängstlichen Zug um den Mund. »Du siehst gut aus, Mann«, sagte er. Er grunzte leise. »Verdammt gut. Fast so gut wie Sidney Poitier.«
    »Du bist nicht der Einzige, der mein Gesicht seit Jahren nicht mehr gesehen hat.« Hiero lächelte. Dann hob er den Kopf und drehte ihn etwas in meine Richtung. »Wen hast du mitgebracht?«
    Plötzlich war mein Kopf ganz leer vor lauter Panik.
    Chip ließ den Jungen los und kam zu mir herüber. »Komm schon, Mann. Sag hallo.«
    Es war wirklich sonderbar. Ich ging zu Hiero und brachte kein Wort heraus, legte einfach nur meine Hand auf seine Schulter. Er schaute mich ganz direkt mit seinen blinden Augen an und sagte leise: »Sid?«
    Seine rauen Hände betasteten mein Gesicht, die Fingerspitzen fuhren über meine geschlossenen Augen, meine Nase, mein Kinn. Ich nickte blöde.
    »Du weinst ja«, sagte er.
    »Ich weine nicht«, sagte ich.
    Und dann zog er mich an sich und drückte mich ganz fest. Ich spürte nur, wie sein mageres Knochengestell zitterte.

    »Das war mal eine Fabrik«, sagte Hiero mit seiner tiefen, kratzigen Stimme. »Jahrelang wurden hier Eisenwaren hergestellt. Ich machte eine Ausbildung zum Schmied. Als der Betrieb geschlossen wurde, durfte ich hier bleiben. Am Anfang wohnten auch noch ein paar andere Leute in dem Gebäude, aber die sind nach und nach alle weggezogen. Jetzt bin nur noch ich da. Ich geh hier nicht weg.«
    »Sind die Skulpturen da draußen von dir?« Ich schaute durch die hellen Fenster. Ich vermied es, ihm in die Augen zu sehen.
    Hiero lächelte. »Nein.«
    »Die hast nicht du gemacht, diese eisernen Monster?«, fragte Chip grinsend.
    »Nein«, sagte Hiero, »die standen schon da, als ich herkam.«
    Dieser Blödmann. Der Junge war alt und klapprig geworden, aber lügen hatte er immer noch nicht gelernt. Natürlich hatte er die Dinger gemacht. Ich sah Chip an, dass er es auch wusste.
    »Na ja, wie auch immer«, sagte Chip, »sie sind jedenfalls ganz schön eindrucksvoll.«
    Hiero wirkte erfreut. »Sie gefallen dir?«
    »Ich werd sie bestimmt nicht so schnell vergessen«, sagte Chip.
    »Und was ist mit dir, Sid?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich glaube, es kommt nicht darauf an, ob sie einem gefallen oder nicht.«
    »Stimmt«, sagte Hiero. »Kommt, ich zeig euch alles.«
    Wir folgten ihm. Er bewegte sich so vollkommen sicher durchs Haus, als wäre er gar nicht blind, schritt ohne zu zögern durch die Flure, hielt uns die Türen auf.
    »Bist du sicher, dass du nichts siehst?«, fragte Chip.
    »Ich lebe schon seit Jahren hier«, sagte Hiero. »Aber du brauchst bloß die blöden Möbel umzustellen, dann klappt überhaupt nichts mehr.« Er führte uns ins Freie und ging an der Hauswand entlang bis zu einer großen Kellertür. Die Türflügel streiften übers Gras, als er sie aufzog. Drinnen war es dämmrig, und es roch ein bisschen nach Moder. »Das alles umzubauen war eine Riesenarbeit«, sagte er. »Ich wollte einen Lagerraum im Keller haben, aber sie sagten, wenn ich mehr Platz haben wollte, müsste man ihn tiefer ausgraben. Ich dachte, mich trifft der Schlag, als ich das hörte. Man musste den alten Betonboden rausreißen und weiter unten eine neue Bodenplatte betonieren. Eine Scheißarbeit war das, monatelang hatte ich die Handwerker im Haus, aber jetzt

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