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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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was da. Allerdings hab ich keine Milch gefunden.«
    Hiero lächelte.
    »So viele Jahre«, sagte ich. »So viele Jahre lebst du hier, und ich hatte keine Ahnung davon.«
    Wir saßen eine Weile schweigend da. Ich betrachtete ihn im Profil. Seine Haut sah so richtig satt schwarz aus vor dem weißen Himmel. Seine Augen schimmerten wie Opale und starrten in ein Land, das nie jemand gesehen hat.
    Und dann, ich weiß nicht warum, brach es plötzlich aus mir heraus.
    »Hiero, ich muss dir was sagen. Ich möchte es nicht, aber es muss sein.«
    »Thomas«, sagte er.
    Ich wurde rot, räusperte mich verlegen. »Es ist was Schlimmes.«
    Sein Gesicht verfinsterte sich. »Was?«
    Ich kippte den Rest Kaffee ins Gestrüpp, schüttelte den Becher aus und schaute weg. »Weißt du, damals in Paris, es war meine Schuld, dass du deine Papiere nicht gekriegt hast.«
    Er sah mich gespannt an, als wartete er darauf, bis ich ausgeredet hätte. Wie eine seiner verrosteten Statuen. Er reagierte gar nicht.
    Meine Kehle war ganz ausgetrocknet. »Mein Leben lang«, sagte ich, »mein Leben lang habe ich mir gewünscht, ich könnte mit dir darüber reden. Es tut mir unendlich leid, Thomas.«
    Er wandte sich mir zu, ein verwundertes Lächeln auf den Lippen. »Genau das ist es. Das ist der Grund, warum ich Chip eingeladen habe. Ich wollte nicht, dass er vielleicht denkt, ich machte ihn für das verantwortlich, was passiert ist. Ich gebe niemandem irgendeine Schuld, Sid.«
    »Du hast mich nicht verstanden. Es war meine Schuld. Ich hab deine Papiere versteckt.«
    »Aber was soll das, Sid? Ich hab meine Papiere ja gar nicht bekommen.«
    »Genau darüber rede ich doch die ganze Zeit. Du hast sie bekommen. An dem Tag, an dem die Deutschen einmarschiert sind. Jemand hat sie zu unserer Wohnung gebracht. Du warst krank, und ich hab auf dich aufgepasst. Jemand hat die Papiere vor der Wohnungstür deponiert, und ich hab sie genommen und versteckt.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das gibt doch gar keinen Sinn«, sagte er. »Wieso hättest du so was tun sollen?«
    Ich saß zitternd da, ich brachte kein Wort heraus.
    Und dann sagte er, als redete er mit sich selbst: »Die Aufnahme.«
    »Thomas«, sagte ich, »es tut mir leid, es tut mir so verdammt leid, es tut mir leid.«
    Aber er machte eine brüske Handbewegung, als wollte er sagen: Komm mir ja nicht zu nahe. Er saß eine Weile in der
Sonne da, das Gesicht abgewandt. Dann stand er langsam auf, trat ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
    Es war verdammt still auf der Veranda. Das Licht lastete schwer auf meiner Haut, auf meiner Brust, auf meinem ganzen Körper. Ich blinzelte hektisch, ich war fast blind, der Druck löschte den Hof vor mir aus. Ich klammerte mich an den Kaffeebecher wie ans nackte Leben. Es war mir nicht darum gegangen, das Rechte zu tun, das verstand ich jetzt. Nicht um Mitleid, um Trost. Scheiße.
    Chip kam mit schweren Schritten die Stufen herauf, schnaufend vor Anstrengung. »Was war das gerade?«
    »Nichts«, sagte ich. »Nichts.«
    Chip verzog das Gesicht und setzte sich auf den Platz, wo eben noch Hiero gesessen hatte.
    »Ich glaube, ich sollte nicht mehr länger bleiben«, sagte ich. »Ich glaube, ich muss weg.«
    »Sid, was habt ihr geredet? Was hast du ihm gesagt?«
    Aber ich konnte es nicht noch einmal sagen. Ich sah ihn an. Ich fühlte mich ausgehöhlt, leer. Und dann war es mir plötzlich egal, wenn auch Chip es wusste. »Ich hab Hieros Visa versteckt damals in Paris. Du und Lilah, ihr wart nicht da, als sie abgeliefert wurden, und Hiero schlief.« In meiner Brust spürte ich ein quälendes Stechen. »Ich wollte unbedingt, dass die Plattenaufnahme fertig wird.«
    Chip warf mir einen schockierten Blick zu, als wollte er sagen: Wie konntest du nur? Aber dann wich die Spannung aus seinem Gesicht, und er sah mit unbewegter Miene hinaus auf die mächtigen Eisenskulpturen.
    Irgendwann hielt ich dieses Schweigen zwischen uns nicht mehr aus und wollte gehen.
    Chip legte die Hand auf meinen Arm. »Wir haben alle
schon Dinge gemacht, auf die wir nicht stolz sind, Sidney. Vor allem damals.« Er musterte mich stirnrunzelnd. »Du kannst nichts dafür, dass die Deutschen ihn geschnappt haben. Das konnte doch kein Mensch voraussehen.«
    »Aber er wäre zu der Zeit ja schon längst in der Schweiz in Sicherheit gewesen, wenn ich nicht gewesen wäre.«
    Chip schwieg eine Weile, dann sagte er: »Was du getan hast, Sid, ist nicht zu entschuldigen. Es war absolut falsch. Und das sage ich als einer,

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