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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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falsch und noch mal falsch. Der alte Ernst spielte so Trompete, wie Monet mit Aktien handelte.) Und er fragte sich die ganze Zeit, warum die anderen Bandmitglieder bei der Aufnahme nicht dabei waren.
    Na gut, seine Forschungen waren nicht ganz umsonst. Er
fand heraus, dass Paul 1939 festgenommen worden war und in Sachsenhausen starb. Er kam dahinter, dass Chip und ich auf der SS St. John nach Amerika zurückgefahren waren. Dass Hiero in Paris geschnappt und über Saint-Denis nach Mauthausen geschafft worden war. Aber wo war der Große Fritz abgeblieben? Und wohin verschwand Ernst nach der Aufnahme? Rätsel über Rätsel.
    Die Veröffentlichungen des Wissenschaftlers erregten die Aufmerksamkeit von John Hammond Jr., dem Jazz-Kolumbus, der Billie und Ella entdeckt hatte. Hammond war Talentsucher für Columbia, der Leute wie Aretha, Bob und Leonard unter Vertrag genommen hatte. Er ging der Sache nach, und als er dann in Berlin die Aufnahme hörte, konnte er, sagte er, erst mal eine Weile lang überhaupt keinen klaren Gedanken fassen, weil unsere Musik ihn wie ein Hammer getroffen hatte. Aber dann kam er endlich wieder zu Verstand, und da wusste er, dass er drei Dinge zu tun hatte. Erstens: Dafür zu sorgen, dass Columbia die Aufnahme technisch neu aufbereiten ließ und in großer Auflage rausbrachte. Zweitens: Alle, die zur Band gehörten und noch am Leben waren, ausfindig zu machen. Drittens: Uns, die Hot-Time Swingers, auf Tournee zu schicken, die uns Ruhm und Reichtum bringen würde.
    Es war Louis, der ihm half, Chip und mich zu finden, Louis Armstrong. Der kannte sich aus, und obwohl er Hammond verabscheute, schrieb er ihm einen Brief, in dem er einige Sachen richtigstellte. Dass die zweite Trompete ganz bestimmt nicht Ernst von Haselberg war; was für eine blödsinnige Idee, schrieb er. Wenn er selber eine Vermutung äußern sollte, so würde er sagen, es sei am ehesten Bill Coleman aus Kentucky. Er wies darauf hin, dass die Melodie auf einem be
kannten deutschen Lied basiere, dessen Titel ihm entfallen sei. Und er teilte ihm mit, dass Chip und ich wahrscheinlich in Baltimore lebten; er solle dort suchen. Das war alles. Er sagte nichts darüber, woher er seine Informationen hatte. Natürlich schrieb Hammond ihm zurück, um ihn danach zu fragen, aber zwei Tage nachdem er den Brief weggeschickt hatte, erfuhr er aus den Nachrichten, dass der alte Satchmo gestorben war. Hammond fand dann Chip und mich ganz einfach im Telefonbuch .
    Chip zierte sich nicht. Er sagte, er habe keine Ahnung, wie Armstrong das alles habe wissen können. Und er brachte mich dazu, dem Plattenvertrag zuzustimmen – natürlich musste auch noch Coleman einverstanden sein –, allerdings machte ich Hammond bei der Gelegenheit gleich klar, dass die Hot-Time Swingers nie und nimmer auf Tournee gehen würden. Wir wussten ja schon seit Jahren, dass Ernst, der Große Fritz und Paul tot waren. Es hatte sich rumgesprochen. Und was den Half Blood Blues angeht, so war der ohne Hiero ganz einfach nicht denkbar. Das war sein Stück – er war der Frontmann, er hatte es mit seinem Blut und seiner Spucke geschrieben. Er hatte diesen massiven Sound drauf, der so wild und unerwartet war wie dicht an dicht wuchernde Blumen mitten in einem knochentrockenen Feld. So einen kann man nicht ersetzen. Und überhaupt hatten Chip und ich gar keine Lust, die Band wiederauferstehen zu lassen, nach allem, was passiert war.
    Natürlich hatte der Kultstatus dieser Aufnahme mit der unglaublichen Geschichte zu tun, die sich darum rankte. Ich meine nicht die nur von Hiero, sondern von allen Hot-Time Swingers . Man muss sich das mal vorstellen: Junge Deutsche und Amerikaner taten sich in der Zeit zwischen den Kriegen
zusammen und machten diese wilde, freudige Musik, bis die Nazis alles kaputt machten. Und dann wird eines Tages diese Blechdose in der Wand einer Wohnung gefunden, die früher mal einem Nazi gehört hat. Mann, wenn das keine Spukgeschichte ist, hab ich noch nie eine gehört.
    Besonders eine Frage kam immer wieder hoch: Wer war dieser Hieronymus Falk? Es kursierten die wildesten Gerüchte, und ein paar davon sind sogar wahr. Es wurde behauptet, er konnte jedes beliebige Musikstück nachspielen, wenn er es einmal gehört hatte (stimmt). Manche glaubten, er sei der lang verschollene Bruder von Sidney Bechet gewesen (sind wir das nicht alle?). Man raunte, Falk hätte wie der Bluesmusiker Robert Johnson immer mit dem Rücken zum Publikum, den Blick in eine Ecke gerichtet,

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