Spiels noch einmal
gespielt (so ein teuflisch gut aussehender Junge wie er? Also bitte!) und – apropos Teufel (und apropos Johnson) – er habe einen Pakt mit der Hölle geschlossen und im Tausch für seine musikalische Gabe seine Seele versprochen.
Ich weiß nicht, vielleicht ist das auch noch wahr.
Im Herbst 1981 wurden ein paar neue Einzelheiten bekannt. In einem Interview behauptete Hammond, der Junge habe Mauthausen überlebt und sei im August 1948 an einer Lungenembolie gestorben. Lungenembolie? Irgendwie überzeugte das die Leute nicht. »Woran ist Hieronymus Falk wirklich gestorben?« Dieser Frage nachzugehen wurde zu einem beliebten Journalistensport. Alle möglichen blödsinnigen Theorien kamen auf. Einer schrieb, Falk habe eine Rippenfellentzündung bekommen. Eher eine suizidale Rippenfellentzündung, sagte ein anderer, denn Hiero habe seinen geschwächten Körper vorsätzlich vollends ruiniert, indem er andauernd im Regen spazieren gegangen sei. Die Lunge
war nicht das Problem, meinte ein dritter, er ist an Herzstillstand infolge der Unterernährung gestorben. Vermutlich fand der Mann diese Version romantischer. Überzeugend war das alles nicht. Für Chip und mich war das Ganze einfach nur grausam, ein sinnloses Stochern in alten Wunden. Warum ließen sie den armen Kerl denn nicht endlich in Frieden ruhen?
Hammond ließ sich von alledem nicht beirren.
»Sid, es war eine Lungenembolie«, sagte er mir später. »Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, das anzuzweifeln. Wahrscheinlich lag es daran, dass die Leute annahmen, ein Mann wie Falk müsse einen irgendwie großartigeren Tod gestorben sein. Die richtige Todesart kann einen Menschen unsterblich machen.«
Scheiße, dachte ich, als ich das hörte. Ein Mann wie Falk. Aber Hiero war doch noch ein Junge ! Das hat kein Mensch verdient, auf diese Weise erwachsen zu werden.
Ich stand lang hinter der Tür und horchte auf Chips schlurfende Schritte im Treppenhaus. Dann schob ich die zwei Riegel vor und hängte die Sicherheitskette ein.
Chip Jones, dachte ich finster, als ich durch den Flur ging. Blöder Chip Jones. Der Mann kennt seine Grenzen nicht.
Nicht dass ich ihm geglaubt hätte. Keine Sekunde lang. Ich ging zurück in mein stilles Wohnzimmer, machte das Licht aus, trat ans Fenster, bog eine Lamelle der Jalousie hoch und lugte hinunter auf die Straße. Nach einer Weile erschien eine kleine Silhouette in der Dämmerung. Chip überquerte langsam die Straße, blieb dann stehen und schaute zu meiner Wohnung hinauf. Ich ließ die Lamelle los und trat zurück in den Schatten.
Ich setzte mich hin, schaute auf meine Hände. Es war halbdunkel im Zimmer, die Möbel schattig verschleiert im trüben Dämmerlicht des späten Nachmittags. Alles sah schwerer aus. Der Geruch von Chips Zigarillo hing in der Luft wie der Schwefeldunst des Teufels.
Dann sagte ich mir: Sei fair, überleg doch mal, nur eine Minute. Wenn das nun doch nicht bloß ein schlechter Scherz wäre, wenn es diese Briefe wirklich gäbe, wenn der Junge tatsächlich irgendwie mit uns Verbindung aufnehmen wollte – was dann? Was würdest du tun, Sid, wenn das alles wahr wäre? Wärst du es ihm nicht schuldig hinzufahren, nach allem, was du getan hast? Ich saß da, bis es vollständig dunkel geworden war, starrte durch die alten Jalousien auf die Straße.
Es war sinnlos. Ich glaubte es nicht.
Ich wusste, dass ich mich aufraffen und meine Sachen packen sollte, aber ich bewegte mich nicht vom Fleck. Ein sonderbares Gefühl kam über mich. Ich spürte in meinen Händen und Füßen so ein Prickeln, als gehörten sie nicht mehr zu mir, und dann war es, als legte sich ein Schatten über mein Herz. Mich fröstelte.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Ich wachte auf, den Kopf zur Seite abgeknickt, vorn auf meinem Hemd die Spur von einem langen Speichelfaden. Es war noch dunkel. Ich stand auf, schaute auf die Uhr und verzog das Gesicht. Ein paar Stunden hatte ich noch.
Nachdem ich gepackt hatte, schleppte ich den ramponierten alten Koffer die Treppe hinunter und hinaus zu dem wartenden Taxi. Mit laufendem Motor stand es da in dem kalten Licht des frühen Morgens, die Auspuffgase gespenstisch weiß. Es lief mir kalt über den Rücken bei dem Anblick.
Ächzend stieg ich ein. Die schäbigen Sitze rochen scheuß
lich, nach Knoblauch oder Zwiebeln. »Zum Flufhafen«, murmelte ich. »Den kürzesten Weg. Ich will nicht die Landschaft bewundern, ich muss meinen Flug kriegen.«
Der Taxifahrer trug eine
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