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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Baseballkappe verkehrt herum. Ich werde wohl nie verstehen, warum heutzutage erwachsene Männer in geschlossenen Räumen Kopfbedeckungen tragen. Er zuckte die Achseln. »Klar, Chef.« Er fuhr los.
    Die Stadt kam mir so früh am Morgen ungewöhnlich dreckig vor. Die Straßen waren nass vom nächtlichen Regen, unter geparkten Autos huschten Ratten herum, überall lag Müll und verwehtes Papier. So trostlos sah es nicht immer aus.
    Ein Mann in meinem Alter sollte eigentlich nicht gezwungen sein, mit dem Taxi zum Flughafen zu fahren. Er sollte jemanden haben, den er bitten kann, ihn hinzubringen, der ihm einen guten Flug wünscht. Trotzdem, ich bereue nichts.
    »Stimmt, Chef, man soll nie was bereuen«, sagte der Taxifahrer ganz unbefangen. »Das bringt nichts.«
    Ich sah ihn überrascht an. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich laut gesprochen hatte.
    »Wo fliegen Sie hin?«, fragte er.
    Ich sah seine Augen im Rückspiegel. Sie musterten mich kurz und schauten dann weg.
    »London«, sagte ich. »Ich fliege zurück nach London. Dort lebe ich.« Es ist immer besser, man verrät den Leuten nicht zu viel, finde ich. Es braucht nicht jeder zu wissen, wenn du verreist und niemand da ist, der auf deine Wohnung aufpasst. Man kann nicht vorsichtig genug sein heutzutage.
    »London?«, sagte der Taxifahrer. »Echt? Ich hab früher dort gelebt. England ist ganz okay, bloß das Essen! In welcher Gegend wohnen Sie denn?«
    Ich runzelte die Stirn. Ich hatte keine Lust, Smalltalk mit
ihm zu machen. Am besten, ich beendete das Gespräch gleich jetzt. »Nicht London in England«, sagte ich. »London, Ontario. In Kanada.«
    Seine Augen wurden irgendwie glasig. Mit Kanada kann man jede Unterhaltung abwürgen, das habe ich vor langer Zeit mal gelernt. Kleiner Geheimtipp von mir.
    Ich schaute zu, wie die Straßen vorbeizogen. Baltimore kommt mir immer wie die Art von Stadt vor, die man entweder gerade verlässt oder in die man eben zurückkehrt. Kein Ort, an dem man seinen Hut aufhängt. Schon als Jugendlicher habe ich davon geträumt, von da weg zu kommen. Ich schaute auf das Gebüsch, das sich wie eine grüne Wand an der Straße entlangzog, und hing trüben Gedanken nach. Ich bin nicht doof, ich wusste, dass das wahrscheinlich meine letzte Reise war.
    Ich bin in Baltimore geboren, vor dem Weltkrieg. Und wenn man vor dem Weltkrieg in Baltimore geboren ist, will man weg. Vor allem dann, wenn man arm, schwarz und voller großer Hoffnungen ist. Sicher, Baltimore ist nicht der südliche Süden, und meine Eltern waren ziemlich hellhäutig, aber wer glaubt, Rassendiskriminierung gäbe es nur im tiefsten Süden, täuscht sich. Meine Kumpels und ich waren an jeder weißen Imbissbude so wenig willkommen, wie irgendein Byron Meriwether je auf die Idee gekommen wäre, in Jojo’s Crab House sein Abendbrot zu verzehren. Die Verhältnisse waren bitter. Einige Verwandte – zwei Brüder meiner Mutter und eine Schwester, die Lehrerin war – lebten als Weiße in der Gegend von Charlottesville und hatten jeden Kontakt mit uns abgebrochen. Ich habe immer davon geträumt, bei denen aufzutauchen und ihre verlogene Fassade kaputt zu machen. Heute bin ich mir in dieser Sache nicht mehr so si
cher, sie versuchten wohl auch nur, so gut es ging, über die Runden zu kommen. Wir hätten auch als Weiße durchgehen können, wir hätten sagen können, wir stammen aus Osteuropa oder sonstwoher, aber mein Vater hätte das nie gemacht. Als Neger hat uns Gott der Herr erschaffen, sagte er immer. Ich möchte nichts anderes sein.
    Am Flughafen checkte ich ein, dann machte ich mich auf den beschwerlichen Weg zum Flugsteig. Durch lange weiße Tunnels, Sicherheits- und Passkontrolle. Von Chip keine Spur.
    Als zum Einsteigen aufgerufen wurde, war er immer noch nicht da.
    Das fing nicht schlecht an, dachte ich befriedigt. Halleluja, vielleicht versäumte Chip ja den Flieger.
    Wir hatten Tickets für die erste Klasse, eine kleine Aufmerksamkeit von Caspars. Kaum hatte ich in dem geräumigen Sitz Platz genommen, meine orthopädischen Schuhe ausgezogen und mich bequem zurückgelegt, da sah ich Chip durch den Mittelgang auf mich zu schlurfen.
    »Sid«, sagte er keuchend. »Ich dachte schon, ich schaff es nicht mehr. Die haben ewig gebraucht, bis sie meine Reservierung gefunden haben.« Er sah wie aus dem Ei gepellt aus, tadellos gekleidet in einen schwarzen Seidenanzug, mit einem grauen Einstecktuch in der Brusttasche. Er studierte sein Ticket. »Ich glaube, du sitzt auf dem falschen

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