Spiels noch einmal
hören. Der Junge richtete sich hoch auf, das Wasser strömte von seiner knochigen Brust. »Ich finde, wir sollten gehen«, sagte er leise. Seine Oberlippe zitterte.
»Wir sind doch gerade erst gekommen«, sagte Paul.
»Er meint: nach Paris, glaube ich«, sagte Ernst.
Hiero wirkte verlegen und tauchte wieder ab.
»Du meinst, wir sollten nach Paris?«, fragte Chip. »Weg vom Anstreicher? Du glaubst, es lohnt schon allein wegen Armstrong? Du stellst dir vor, es hat vielleicht auch seinen Reiz, in einer Stadt zu leben, wo man auf die Straße gehen kann, ohne gleich befürchten zu müssen, dass man umgebracht wird? Versteh ich dich da richtig?«
Hiero sah Chip an. »Ja«, sagte er nur.
»Oh, Junge.« Chip lachte. »Du bist Gold wert. Klar, so ist es.«
»Das Problem ist nur«, sagte Ernst, »wie kommen wir da hin?«
»Halt, das geht mir zu schnell.« Fritz’ Stimme klang aufgebracht. »Mich überzeugt das alles nicht, tut mir leid.« Er watete hinüber auf die seichte Seite, setzte sich auf die Stufen dort und stützte die Ellbogen auf die Knie. Kleine Wellen spülten über seine massigen Oberschenkel. Die Haare auf seiner Brust bildeten einen dichten Pelz. »Tut mir leid«, sagte er noch einmal. »Aber ich renne nicht blind drauflos, bloß weil die Frau meint, es wär richtig so.«
»Das ist in Ordnung«, sagte Ernst. »Wir diskutieren ja nur.«
»Überleg doch mal, Mann: Paris! «, sagte Chip.
»Wo sollen wir da wohnen?«, fragte Fritz. »Wie lange wollen wir bleiben?«
Ernst schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Es gibt eine Menge offener Fragen. Ich weiß nicht mal, wie lange es genau dauern würde, bis wir losfahren könnten. Wir bräuchten Visa.«
»Ach was, in einer Stunde oder so hast du das alles geregelt« sagte Chip. »Dir fällt doch immer was ein.«
»Die Tussi von Louis ist noch die ganze Woche in Berlin«, sagte ich. »Wir müssen uns nicht sofort entscheiden.«
»Gut.«
Ernst räusperte sich. »Also dann: Ist das in Ordnung so?«
»In Ordnung.«
Aber irgendwie hatte Fritz uns mit seinen Bedenken die Laune verdorben, das Wasser getrübt, in dem wir trieben. Wir waren still geworden und planschten nicht mehr so ausgelassen. Irgendwann räusperte sich Ernst und sagte bedrückt: »Tja, ich glaube, ich gehe jetzt mal wieder ins Hound .«
»Du willst so spät noch was arbeiten?«, fragte Paul. »Ich verstehe überhaupt nicht, warum du immer noch diese Artikel schreibst. Kein Mensch interessiert sich mehr für Jazz.«
Ernst schwieg eine Weile, dann sagte er: »Ich schon.« Er stieg weiß schimmernd aus dem Wasser, als hätte es alles Blut aus ihm herausgesaugt.
Wir blieben danach nicht mehr lang.
Draußen unter den Gaslaternen leuchtete der Platz vor dem Bad wie Talkum. Leute gingen stumm durch den Schimmer. Mein Genick war noch feucht, ich spürte die kalte Luft auf der Haut. Chip boxte leicht gegen meine Schulter.
»Komm, hauen wir ab.« Seine Stimme klang düster.
Mir war auch nicht wohl in meiner Haut. Ich nickte.
Die Straßen waren dunkel. Wir hielten die Köpfe gesenkt und vergruben die Hände tief in den Taschen. Wir gingen langsam, als fürchteten wir uns davor, nach Hause zu kommen. Eine Zeitlang noch sahen wir nicht weit vor uns schemenhaft Fritz, den Jungen und Paul, dann verschwanden sie in der Dunkelheit.
Ich fand es immer was ganz Besonderes, nachts durch Berlin zu gehen – die Stille, die Art, wie die Schatten sich vor den Fenstern der Geschäfte zusammendrängten. Wir gingen an einem Spielzeugladen vorbei, in dessen Schaufenster Bälle mit Hakenkreuzen drauf ausgestellt waren, an den eisernen Rollläden einer Metzgerei. In der Luft hing feiner Staub, ein Geruch nach Dreck; ich schnaubte, um ihn aus der Nase zu kriegen. Dann hörten wir scharfe Stimmen, und weiter vorn sahen wir in trübem Licht einen Trupp von Straßenarbeitern. Junge Burschen schleppten dampfende schwarze Kannen, aus denen sie flüssigen Teer in die Ritzen zwischen den Pflastersteinen gossen. Dampfschwaden stiegen auf, Männer in dicken Overalls wischten sich die geschwärzten Gesichter.
Wir wichen zurück ins Dunkel, nahmen einen anderen Weg.
Ich dachte darüber nach, was für ein geducktes Leben wir seit Monaten führten, Chip und ich. Noch vor zwei Jahren hatten wir uns ganz ungeniert auf diesen Straßen bewegt, hatten rumgeschrien, als ob die Welt uns gehörte. Jetzt drückten wir uns im Schatten entlang, scheuten das Licht. Ich dachte daran, wie wir beide als Jugendliche in Baltimore
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