Spiels noch einmal
Blut von den Augen. Und im nächsten Moment sah ich den Jungen wegkriechen und Chip und den Nazi in der Türöffnung aufeinander einschlagen, und dann stand Chip plötzlich über dem Kerl, der über der Schwelle lag, und sein Kopf hing schlaff neben der Eingangsstufe.
Etwas Schwarzes sickerte aus der Brust des Nazi und breitete sich zu einem feuchten Fleck auf dem Stein aus.
»Chip«, zischte ich. »Wir müssen weg.«
Chip bewegte sich nicht.
Fritz stützte mit einem Arm Paul, mit dem anderen half er dem Jungen auf. Er sah mich scharf an. »Sid«, rief er. »Gehen wir.«
»Ich weiß«, sagte ich leise. Ich ging zu Chip hinüber. »Chip, wir müssen von hier weg. Sofort.«
Er hielt immer noch den Hals der Flasche in der Faust. Ich sah, wie das Blut unter der Leiche hervorsickerte, pechschwarz schimmernd, als hätte sich in den Steinen ein schrecklicher dunkler Schlund aufgetan, ein Eingang zur Unterwelt.
»Chip«, sagte ich noch mal.
Endlich wandte er sich ab. Wir rannten los.
2
»Die werden nach uns suchen«, sagte Chip. Er zuckte zusammen, drehte den Kopf und sah Fritz wütend an. »Willst du mich umbringen, oder was? Das tut weh , verdammte Scheiße.«
Stirnrunzelnd lehnte sich der Große Fritz zurück und hielt einen schwarzen Glassplitter, den er aus Chips Kopfhaut gepult hatte, in seiner Handfläche. Seine dicken Finger hielten geschickt die feine Pinzette.
»Und was, meinst du, sollen wir also tun?«, fragte ich.
Paul hielt ein nasses Tuch auf eine hässliche rote Beule an seinem Jochbein gedrückt. »Er meint, wir müssen hier bleiben.« Seine Stimme war durch den Stoff nur undeutlich zu hören. »Er meint, er wünscht euch eine angenehme Nachtruhe hier auf dem Fußboden.«
Der Junge zupfte schweigend an seinen Händen herum.
Ich versuchte mich so hinzusetzen, dass ich besser Luft bekam. Meine Rippen taten verdammt weh. Das Hound um uns herum fühlte sich bedrohlich dunkel und still an. Wir wussten nicht, wo wir sonst hinsollten.
Wir saßen im Halbdunkel am Rand der Tanzfläche vor der unbeleuchteten Bühne. Nur in Ernsts Büro über der Bar brannte eine Lampe. Die Tür stand offen, ein gelber Streifen Licht ergoss sich über die Treppe. Ernst saß schweigend an dem Tisch neben unserem und rauchte.
Ein leises Klicken war zu hören, als Fritz den Glassplitter auf einen Teller fallen ließ.
»Das werden sie zum Vorwand nehmen«, sagte Chip.
»Zum Vorwand für was?«
»Für alles mögliche. Sie werden Leute verprügeln. Musiker einsperren. Weiß der Teufel, was noch alles.«
Fritz runzelte die Stirn. »So schlimm wird es nicht werden. Es gibt immerhin Gesetze. Die ignorieren nicht so einfach geltendes Recht, jetzt nicht mehr.«
Ich schüttelte den Kopf. »Aber genau das machen die doch andauernd. In was für einem Land lebst du eigentlich?«
Chip zog heftig die Luft ein. »Aua. Verdammt, Fritz, nicht so grob!«
Fritz grunzte. Wieder klickte ein Glassplitter.
Ernst saß schief auf seinem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen. Die Zigarette zwischen seinen bleichen Fingern glühte auf und erlosch wieder. Als er endlich etwas sagte, klang es ruhig und gefasst. »Chip hat recht. Wir sollten hierbleiben, bis uns was Besseres einfällt.«
»Ich denke, in Berlin hält uns jetzt endgültig nichts mehr«, sagte ich zu Fritz. »Pack schon mal ein paar Unterhosen zum
Wechseln ein. Was heißt Mr Armstrong, Sie haben wirklich bezaubernd schöne Waden auf Französisch?«
»Findest du das witzig, Sid?« fragte Fritz.
»Ich lach nicht«, sagte ich. »Es tut so verdammt weh, wenn ich lache.«
»Hiero?« Paul hatte sich nach vorn gebeugt und musterte besorgt den Jungen. »Alles in Ordnung mit dir?«
Der Junge zitterte. Er blickte auf, dann schaute er weg.
»Ach was, dem geht’s prima. Der träumt nur gerade von Paris.«
»Natürlich geht’s ihm prima«, sagte Chip. »Der Junge hat keine Schramme abgekriegt. Aua. Verdammt, Fritz, pass doch auf.«
Fritz gestikulierte mit seiner freien Hand, dann legte er seine riesige Pratze auf Chips Kopf und drehte ihn ins Licht. »Findet ihr das eigentlich nicht merkwürdig: Da taucht diese Frau mit ihrem lächerlichen Angebot auf, und am selben Abend werden wir überfallen? Ich meine: Wie lange leben wir schon hier in Berlin? Und ist uns jemals schon so was passiert?«
»Das ist jetzt ein bisschen weit hergeholt, nicht?«
Ernst setzte sich auf. »Weißt du was, das wir nicht wissen, Fritz?«
Fritz kniff die Lippen zusammen.
»Fritz?«
»Nein. Ich hab
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