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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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zubekommen habe. Davon habt ihr überhaupt nichts gemerkt?«
    Ich musste lachen. »Kommt das vielleicht von dem Schlag, den du auf den Kopf gekriegt hast?«
    »Mann, ich bin doch nicht blöd. Das Vieh hat die ganze Nacht keine Ruhe gegeben. Ich kam mir vor wie in einem Varieté, so ein Gekreische war das.«
    »Vielleicht hast du ein bisschen viel Czech getrunken?«
    »Ich hab es auch gehört«, sagte Hiero.
    Paul linste über den Rand der Zeitung.
    »Jeder im ganzen Viertel muss es gehört haben«, sagte Chip.
    Paul lächelte. »Offenbar ist Armstrongs Tussi nicht die einzige Sängerin hier in der Gegend.«
    »Ja, jetzt, wo du’s sagst«, meinte Chip grinsend, »kommt es mir fast so vor, als könnte sie es gewesen sein. Hat sie erwähnt, wo sie heute übernachtet hat?«
    »Madame Delilah die Zweite«, murmelte Hiero. »Sie hat uns Gesellschaft geleistet.«
    »Madame Delilah die Zweite, das ist gut.« Chip lachte. »Die sorgt dafür, dass keiner ein Auge zutun kann.«
    Wir sprachen deutsch, aber Delilah verstand natürlich, dass wir von ihr redeten. Sie räusperte sich. »Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie über eine anwesende Person herziehen?« Mit finsterem Gesicht stand sie da, eine Hand auf die Hüfte gestemmt.
    »Ach, wir machen nur Spaß«, sagte ich auf Englisch.
    »Lauter schmeichelhafte Sachen.« Chip grinste.
    »Mm, wahrscheinlich. Ernst ist in seinem Büro?« Sie beobachtete Hiero, der nervös an den Ventilen seiner Trompete fingerte. Ich merkte, dass er sich krampfhaft bemühte, Delilah nicht anzusehen.
    »Bei KaDeWe gibt’s Socken im Sonderangebot«, murmelte Paul. »Werden wir wohl sausen lassen.« Er blätterte um.
    »Steht was über die Sache von heute Nacht drin?«, fragte der Junge. Sein Blick huschte hinüber zu Delilah, kehrte aber sofort wieder zu Paul zurück.
    »Ich schau gerade nach«, sagte Paul abwesend.
    »Meinst du, es bedeutet eher was Gutes, dass sie nichts darüber bringen?«, fragte Chip.
    Ich zuckte die Achseln. »Ich glaube, es beweist überhaupt nichts. Was steht über Polen drin?«
    Paul schüttelte den Kopf. »Das ist bloß das Lokalblättchen. Da steht nichts drin, was du nicht längst schon weißt.« Er blätterte weiter. »Fritz wäre entzückt. Das Herz der Wirtschaft schlägt ruhig, als ob nichts wäre.«
    »Mach weiter, Mann. Was gibt’s sonst noch?«
    Hieros Blick war auf die Zeitung gerichtet. Dann stutzte er plötzlich, seine Augen zwinkerten. Er langte hinüber und riss einen Streifen von der letzten Seite ab. Paul zog ärgerlich die Zeitung weg, aber der Junge sagte nichts.
    »Was hast du denn da?«, fragte Chip. »Hey, antworte gefälligst, Junge.«
    Hiero blickte nervös umher. Dann sagte er in diesem dünnen, näselnden Ton, den er immer draufhatte: »Albert Basel schreibt eine Kritik über Die Goldene Sieben . Hört mal: Wir haben es hier mit einem in seiner Abscheulichkeit unübertroffenen Beispiel dafür zu tun, wie anständige Männer sich bemühen, etwas zutiefst Gemeines zum Ausdruck zu bringen. Die Musik der Goldenen Sieben ist eine Parodie primitivster Negerrhythmen, die letztlich noch verachtenswerter ist als selbst der Jazz von Chikago. «
    Chip jubelte. »Jetzt fängt Goebbels schon an, seinen eigenen Mist öffentlich schlechtzumachen. Wie kommt der dazu, Albie auf Die Goldene Sieben zu hetzen? Ist der Mann total durchgeknallt?«
    »Das fragst du?«, sagte ich. »Im Ernst?«
    »Albie, dieser Drecksack«, murmelte er.
    Albert Basel war ein Musikkritiker aus Leipzig, ein frischgebackener Nazi, dessen Füllfederhalter, so behauptete jedenfalls Chip, ein gutes Stück länger war als sein Schwanz.
Früher konnte der Mann gar nicht genug von uns kriegen, er schlürfte unsere Musik wie besten Merlot, schrieb reihenweise Artikel über die »genial komplexen Rhythmen des deutschen Jazz«. Das bezog sich vor allem auf Chip und mich, seine besonderen Lieblinge. Dann kam das Jahr 1933. Er verlor seinen Posten am Leipziger Konservatorium, und da schwenkte er plötzlich um. Als ich ihm in der Stadt begegnete, wechselte er die Straßenseite; ich rief ihm nach, aber er tat so, als hätte er mich nicht gehört. Von da an waren wir für ihn »musikalischer Abschaum«, Jazz war »verjudete Hottentottenmusik«.
    Chip hat diesem Scheißkerl nie verziehen.
    Aber dass Basel so eine Kritik über Die Goldene Sieben schrieb, passte überhaupt nicht ins Bild. Die Band war Goebbels’ Antwort auf den Hunger der Leute nach Jazz. Denn diese Musik war einfach nicht totzukriegen.

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