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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Spuren Licht. Und dann glühte im Finstern plötzlich ein Paar Augen auf, glitzernd wie Messingmünzen – nur eine schreckliche Sekunde lang, dann verschwanden sie wieder.
    »Madame Delilah«, flüsterte Chip. »Hab ich’s dir nicht gesagt, Mann? Die verdammte Katze lebt hier unten.«
    »Halt die Klappe«, zischte Paul. »Scheiße.«
    Unsere Atemgeräusche erfüllten den Raum. Dann hörte ich langsame, schwere Schritte auf den Brettern über unseren Köpfen, ein Absatz schrammte über den Boden. Die Person auf der Bühne blieb stehen; offenbar blickte sie hinunter auf die Tanzfläche.
    Ganz langsam hob ich im Dunkel den Kopf.
    Dann fing der Mann zu sprechen an, vollkommen ruhig, fast sanft. Seine leicht näselnde Stimme war nur gedämpft zu hören; man konnte nicht verstehen, was er sagte.
    Nach einer Weile war ein heftiges Krachen und Poltern zu hören.
    »Jetzt reicht’s! Was erlauben Sie sich!«, schrie Ernst wütend.
    Wieder ein Poltern und Scheppern; offenbar hatten sie Chips Schlagzeug umgeworfen.
    Die Schritte über uns kamen zurück. Der Mann blieb stehen und redete weiter in diesem ruhigen, näselnden Ton. Und dann schoss es mir plötzlich durch den Kopf: Mein Gott, haben wir im Aufenthaltsraum was rumliegen lassen? Irgendwas, das verrät, das da heute Nacht vier Leute geschlafen haben? Ganz bestimmt haben wir irgendwelche Spuren hinterlassen.
    Ich spürte Chips große Hand, die meinen Arm gepackt hatte.
    Die Türen entlang des Korridors wurden aufgerissen und zugeschlagen. Das Geräusch kam näher. Aufenthaltsraum. Requisitenkammer. Garderobe. Eine Tür nach der anderen. Das Gepolter und Getrampel von Stiefeln war in dem letzten Raum angekommen. Dann flog die Tür der Toilette auf.
    Wir hielten den Atem an.
    Jemand kam herein und schien den Raum abzusuchen. Es dauerte verdammt lang.
    Der Mann über uns redete immer weiter. Irgendwas von behördlichen Genehmigungen und Nutzungszeiten, ich konnte es nicht genau verstehen.
    Die Person in der Toilette schien zu lauschen. Etwas klickte im Waschbecken. Ich hörte tappende Geräusche an der Wand gegenüber. Dann hörte es sich so an, als steige der Mann auf die Kloschüssel und klopfte oben an der Decke herum. Dieser Scheißkerl.
    Die Klappe unter dem Waschbecken war verdammt auf
fällig. Wenn er hier runterkommt, dachte ich. Wenn er hier runterkommt.
    Er redete mit jemandem draußen auf dem Gang – seine Stimme klang so erschreckend klar, als stünde er direkt neben mir: »Meine Frau lässt fragen, wo du die Äpfel gekauft hast.«
    Vom Korridor her war eine undeutliche Antwort zu hören.
    »Um sechs?«, sagte der Kerl in der Toilette. »Nein, das geht leider nicht. Um fünf. Aber nicht morgen.«
    Wieder redete der andere auf dem Korridor. Ich stand geduckt in der Dunkelheit da und wagte nicht zu atmen. Ich betete.
    Und dann war der Kerl draußen und schloss die Tür hinter sich. Ich hörte ihn im Raum nebenan rumoren.
    Ich weinte lautlos. Voller Scham wischte ich mir mit dem Ärmel übers Gesicht. Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass man Angst schmecken kann, aber in dieser finsteren Enge hatte ich es erfahren. Ich hatte sie gerochen, sie wie Sand in der Kehle gespürt, der mich zu ersticken drohte.

    Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Mir taten die Beine weh, und dann spürte ich sie überhaupt nicht mehr. Und immer noch kauerten wir schweigend in diesem Kellerloch. Irgendwann rief Delilah uns zu, wir sollten bleiben, wo wir waren. Die Kerle seien weg, aber möglicherweise kämen sie zurück. Und dann warteten wir wieder. Chip bewegte sich unruhig. Der Junge gab einen merkwürdig erstickten Laut von sich und murmelte verlegen eine Entschuldigung. Meine Gedanken begannen abzuschweifen.
    Schließlich hörte ich Geräusche in der Toilette, und die Klappe wurde geöffnet. Ernst lugte herein.
    »Ihr könnt rauskommen«, sagte er.
    Wir krochen heraus, verdreckt und zittrig. Keiner redete. Ich kratzte mich am Hals; Sägemehl klebte auf meiner schweißigen Haut und juckte mich. Ernst führte uns durch den Flur, die Treppe hoch, über die verwüstete Bühne und hinauf in sein Büro. Die Tische im Saal waren umgeworfen, die Teile des Schlagzeugs lagen überall verstreut.
    Delilah saß auf der Ledercouch unter dem Fenster, ihre zartgliedrigen Hände im Schoß ihres weißen Rocks. Ihre Augen blickten düster.
    Schubladen waren herausgezogen und ausgekippt worden, der Teppich war übersät mit Papieren.
    »Setzt euch«, sagte Ernst. Er stand hinter seinem Schreibtisch

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