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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Bei den Swing Boys in Hamburg schon gleich gar nicht. Es gab immer noch Leute, die genau wussten, was sie an Whiteman und Ellington hatten, und sich nach Swing sehnten. Aus dem Radio war Jazz total verbannt, klar, aber Goebbels war schlau genug, den Leuten eine Alternative anzubieten. Und das war die Sieben . Das ist so, wie wenn man Zucker durch Salz ersetzen wollte. Das waren lauter musikalisch Minderbemittelte wie Franz Thon, Kurt Hohenberger und Erhard Krause, die – man glaubt es nicht, aber es ist wahr – nach Noten spielten.
    »Wie geht’s weiter, Junge?«, fragte ich.
    Hiero drehte sich um und starrte zur Tür.
    Ich blickte auf. Ernst stand da, sein bleiches Gesicht war nur verschwommen im schummrigen Licht zu sehen. Er trug einen schwarzen Anzug und wirkte mit seinem schwarzen
Haar und den zornigen dunklen Augen einigermaßen unheimlich. »Wer fehlt?«, fragte er in scharfem Ton.
    Paul ließ die Zeitung sinken und schaute über den Rand. 
    »Was?«, sagte Chip.
    »Wer fehlt? Wer ist nicht hier?«
    Ich zwinkerte verwundert. »Fritz ist nicht da. Was ist mit Fritz?«
    Ernst runzelte die Stirn. »Fritz kann es nicht sein. Der benutzt den Bühneneingang«, sagte er leise. Er wandte sich an Delilah. »Erwarten Sie jemanden? Haben Sie sich mit irgendjemandem hier verabredet?«
    »Nein.«
    »Was ist los?«, fragte ich. »Ernst?«
    Aber er antwortete nicht, sondern drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zur Bühne hinauf. Wir folgten ihm. Aber dann blieb Ernst plötzlich stehen und hob eine wächserne Hand. Alle erstarrten. Und da hörten wir es auch.
    Ein kräftiges Klopfen vorn an der Tür. Gedämpft war eine Stimme zu hören, die auf Deutsch etwas rief.
    »Das ist nicht Fritz«, flüsterte ich.
    Hiero umklammerte mit seinen langen Fingern die Trompete. Seine Augen schossen gehetzt hin und her.
    »Verdammte Scheiße«, zischte Chip. »Das sind die Nazis.«
    »Nehm ich an.« Ernst nickte. Und jetzt war es, als hätte sich das, was in ihm gekocht hatte, von einem Moment zum nächsten abgekühlt, er war plötzlich vollkommen gefasst und strahlte eine eiserne Entschlossenheit aus. Er zündete sich eine Zigarette an; seine Hand zitterte kein bisschen. »Geht in die Toilette. Da gibt es einen Durchschlupf in den
Keller, hinter dem Kabuff, wo die alten Requisiten stehen. Geht ganz nach hinten und rührt euch nicht. Alle.«
    Der Junge zitterte.
    »Was ist mit dem Hinterausgang?« Ich merkte, dass meine Stimme panisch klang. »Da können wir doch raus?«
    Ernst schüttelte den Kopf. »Da haben sie bestimmt eine Wache aufgestellt«, sagte er fast lässig. Er winkte mit seiner Zigarette. »Geht.«

    Also gingen wir.
    Wir rannten über die Bühne, die Treppe hinunter, durch die Schallschutztüren und durch den schmalen Flur zur Toilette. Der Junge umklammerte immer noch seine Trompete. Ich hätte sie ihm am liebsten aus der Hand gerissen, aber dann dachte ich, vielleicht ist es besser, wenn hier nicht so viel Zeug von uns rumliegt.
    Das Blut hämmerte in meinen Schläfen.
    Wo die Wasserrohre in der Wand verschwanden, direkt unter dem Waschbecken, war eine Einstiegsluke mit einer Klappe. Hiero kniete sich hin und öffnete sie. Er duckte sich und schlüpfte ins Dunkel. Die Toilette war zu klein für uns alle, darum wartete ich draußen im Flur, immer ängstlich die Tür zur Bühne im Blick.
    »Beeilt euch«, zischte ich. »Paul! Los, verdammt.«
    Ich lauschte, hörte aber nichts.
    »Hast du Angst um deinen schönen Anzug?«, sagte Chip zu Paul. »Jetzt mach endlich, Mann.«
    Dann war Paul durchgeschlüpft, und Chip stieg durch die Luke. Ich trat in die Toilette und schloss leise die Tür, sperrte aber nicht zu.
    »Nur gut, dass Fritz nicht dabei ist!«, flüsterte Chip, der
halb im Loch steckte, einen Ellbogen sonderbar verrenkt. Sein weißer Kopfverband schimmerte wie Milch in dem dämmrigen Raum. Er lächelte mir ängstlich zu.
    Ich folgte ihm.
    Ein saurer Geruch von Sägemehl hing in der Luft. Ich spürte einen Hustenreiz aufsteigen, aber es gelang mir, ihn zu unterdrücken. Wir befanden uns in einem engen Raum unter der Bühne, hinter dem Requisitenlager. Meine zerschundenen Hände streiften kalte Wasserrohre. Sehr langsam und vorsichtig drehte ich mich um, langte hinauf und schloss die Klappe. Es war jetzt pechschwarze Nacht.
    Ich spürte eine heiße Hand auf meiner Schulter, hörte Chip flach atmen. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, durch Nagellöcher im Bretterboden der Bühne drangen winzige

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