Spiels noch einmal
schaut andauernd zu Ihnen rauf«, sagte sie lächend.
»Verdammt, tatsächlich! Ich glaub, er will mich bloß provozieren.«
Delilah schüttelte den Kopf. Sie legte eine kühle Hand auf mein Handgelenk, und ein Schauder durchlief mich. »Sie haben ein gutes Herz, Sid, das hab ich gleich gesehen. Das ist der Grund, warum er so an Ihnen hängt.«
Mir wurde warm in der Brust. Ich stand abrupt auf, riss mich beinahe los.
»Sid?«, sagte sie überrascht.
»Warten Sie«, sagte ich. »Ich bin gleich wieder da.« Ich stieg die wacklige Leiter hinunter, lief hinüber zur Bar, nahm eine Flasche Czech aus dem Kühlfach und steckte zwei Schnapsgläser in meine Jackentaschen. Dann kletterte ich wieder die Leiter hinauf, die Flasche in der Hand.
»Oh, was haben Sie vor?« Sie lächelte.
»Ich hab nur was geholt, um den Magen zu wärmen.« Ich grinste und schenkte ein. »Wo ich herkomme, nennt man so was eine Kosakenkonferenz.«
»Sie werden ja hoffentlich keinen Kasatschok tanzen wollen?«
»Hier oben? Quatsch. Das kommt erst später, wenn die Flasche leer ist.«
Wir stießen an. Ich spürte immer noch ein Brennen an mei
nem Handgelenk, als hätten ihre Finger mir die Haut versengt.
»Was hat Sie und Armstrong zusammengebracht?«, fragte ich.
»Wir sind nicht zusammen. Nicht so, wie Sie denken.«
»Nein, so hab ich’s nicht gemeint. Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
»Ich weiß genau, was Sie gemeint haben. Alle Leute, die Lou und mich zusammen sehen, glauben das.«
Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde.
»Lou hat mich entdeckt.« Sie zuckte die Achseln. »Na ja, entdeckt hat mich Oliver. Lou hat einfach erkannt, was er aus mir machen konnte. Er hat mir das Singen beigebracht.«
»Lou«, sagte ich nachdenklich. »Nennen Sie ihn wirklich so?«
»Wie ich ihn nenne, sag ich besser nicht in der Öffentlichkeit.« Sie lächelte.
Ich lachte. »Mann, ich versteh überhaupt nicht, wie die Leute darauf kommen, Sie hätten was mit ihm. Sie sind nicht aus Orleans?«
»Nein, aus Montreal. Ich hab Lou in Chicago kennengelernt. Vorher war ich kaum je aus Little Burgundy rausgekommen. Ich habe bei Hochzeiten gesungen und solche Sachen. Im Kirchenchor.«
»Klar«, sagte ich. »Chip und ich haben früher auf Bahnhöfen gespielt, ich meine: Wir hatten keine Instrumente, wir haben alle Töne mit dem Mund gemacht. Damals waren wir praktisch noch Kinder.«
»Sie sind schon lange zusammen, Sie und er.«
»Wir sind nicht zusammen. Nicht so, wie Sie denken.«
Sie lachte. Es war ein weiches Lachen, irgendwie unerwar
tet. Es klang ein bisschen so, wie wenn man durch junges Schilfgras an einem Fluss entlanggeht, wie wenn die Luft irgendwelches Grünzeug in Wellen bewegt.
»Unser ganzes Leben lang. Wir sind in derselben Gegend aufgewachsen. Chip hat mich zum Jazz gebracht.«
»Dann ist also er schuld.«
»Ja, das muss er auf seine Kappe nehmen.« Ich lächelte. »In Chicago also. Wann war das? Vielleicht waren wir zur selben Zeit dort. War Eddie Condon da? Earl Hines?«
»Sie kennen Eddie?«
»Nicht persönlich«, sagte ich. »Er ist echt toll. Chicago war so was von großartig, das hat uns schwer beeindruckt.«
Sie schnaubte. »Ja, vielleicht, wenn man nicht gezwungen ist, irgendwo im Freien zu übernachten.«
»Könnte gut sein, dass wir auf der Parkbank neben Ihnen geschlafen haben.«
»Ich war nur ein sechzehnjähriges kleines Mädchen aus Montreal, Sid. Ich hab im Gebüsch geschlafen aus lauter Angst um meine Tugend.« Sie lachte wieder, ganz weich. Ich schaute auf ihre schiefen kleinen Zähne und fühlte dieses Verlangen wie eine mächtige Welle. Verdammt, was war mit mir los? Sie erzählte weiter. »Ich dachte, ich war total sicher, dass ich nur King Oliver finden und ihm vorsingen musste, dann stünde meiner großen Karriere nichts mehr im Weg. Er würde einen Arm um mich legen und mich in seine Creole Jazz Band aufnehmen. Irre, nicht?«
»Na ja, so irre auch wieder nicht.«
»Ich dachte, wer selber was kann, erkennt, wer begabt ist und wer nicht.«
»Das stimmt ja auch.«
Sie lehnte sich zurück und musterte mich. Sie grinste. »Sie
selber sind ein gutes Beispiel dafür. Ich hab Sie sofort um meinen kleinen Finger gewickelt, nicht?«
Ich wurde rot.
»Ich mach nur Spaß.« Sie lächelte mich ein bisschen merkwürdig an, dann schaute sie weg. »Ich war so jung damals.« Ihr Blick wanderte wieder zu dem Jungen. Er kramte immer noch in diesem Koffer herum. Chip war jetzt bei ihm. Er stand da in seinem
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