Spiels noch einmal
seinem Anzug fest. Er verzog das Gesicht und setzte sie wieder auf seinen Schoß. Ich konnte seine Schnapsfahne riechen. »Aber es ist okay. Jetzt bist du genau da, wo du hinwolltest. Jetzt musst du um Verzeihung winseln, Mann. Das mögen die Frauen.«
Ich runzelte die Stirn. »Mann, Chip. Ich brauch einen Rat von dir.«
»Das ist mein Ernst. Geh rauf und sag ihr, wie leid es dir tut. Das funktioniert, du wirst sehen.«
Ich betrachtete sein Gesicht in dem hässlichen gelben Licht. Es spielte unheimlich auf seinen Austernlippen und ließ ihn irgendwie bösartig lüstern aussehen.
»Was? Sie ist hier?«
»Wo warst du, Mann? Sie ist schon seit einer Stunde da. Oben in Ernsts Büro.« Er schmunzelte. »Und sie ist allein .«
»Wo ist der Junge?«
Chip zuckte die Achseln.
Verdammt, verdammt, verdammt. Ich stand auf, scheinbar ganz lässig, drehte meinen Hut in den Händen, und dann schlenderte ich in den Gang hinaus, als ob ich an was anderes dächte. Aber was ich dachte, war: Genug. Schaff klare Verhältnisse, sag ihr, was in dir vorgeht. Und dann lass es sein.
Ernst hatte einen Stuhl auf die Bühne gestellt. Dort saß er ganz allein und reinigte seine Klarinette. Er blickte nicht einmal auf, als ich vorbeiging. Im Saal war es dunkel, aber in Ernsts Büro brannte Licht. Ich ging zwischen den Tischen hindurch und die Treppe hoch. Die Tür stand offen. Ich blieb im Dunkeln stehen und klopfte an den Türrahmen.
Sie stand da in ihrem blauen Seidenkleid und hielt das goldene Tuch auf ihrem Kopf mit beiden Händen fest. Ein loses Ende des Stoffs floss wie schimmerndes Wasser nieder auf ein Ohr. Ihre Achselhöhlen waren mit dunklen Haaren gesprenkelt. Sie drehte sich um. »Sidney. Was für eine Überraschung.«
»Ich will mich entschuldigen.« Ich sah sie nicht an, ich fürchtete mich vor ihrem Ärger. Aber das Schweigen, das
folgte, war brutal. Ich hob den Blick. Sie starrte mich an und wartete.
»Ich hab kein Geschenk für Sie«, sagte ich.
Sie stand da mit ausdruckslosem Gesicht, eine Minute lang. »Soll das ein Witz sein?«
»Nein.«
»Von Ihren Witzen hab ich nämlich die Nase voll.«
Ich räusperte mich verlegen.
»Was wollen Sie von mir, Sid?« Es klang dünn, verletzlich.
Ich wollte sie bei der Hand fassen, aber sie beugte sich schnell vor und steckte den losen Zipfel des goldenen Tuchs um ihren Kopf fest. Dann ließ sie ihre Arme schlaff herabhängen. Ich war nicht so blöd, es noch einmal zu versuchen.
»Ich hab kein Geschenk für Sie, Delilah«, sagte ich leise. »Aber ich wünschte, ich hätte eines.«
Mein Gesicht wurde heiß, als ich mich so reden hörte. Ich hatte noch nie so zu einer Frau gesprochen, nicht einmal zu der Zeit, als ich kaum trocken hinter den Ohren war. Sie hatte ein großartiges intelligentes Gesicht, rein, aber nicht glatt und ebenmäßig, sondern so, als hätten Schmerz und Glück ihre Spuren hinterlassen.
Sie stand da und schaute mich an, ihre Lippen wirkten schmerzhaft geschwollen. Sie sagte nichts. Mir war elend.
»Hey«, murmelte ich, »es tut mir echt leid. Das war nicht recht von mir, dass ich Sie so belästigt habe.«
Ich tippte an meinen Hut, nickte und drehte mich um zur Tür.
»Sidney.« Es klang zugleich zärtlich und missmutig, so als ärgerte sie sich über sich selbst.
Ich blieb stehen. Der Eichenboden knarrte unter meinen Sohlen. Meine Nerven waren wie elektrisiert, in meinem
Körper breitete sich eine wirre Verzweiflung aus wie die einer Motte, die in einer Laterne gefangen ist.
»Kommen Sie«, sagte sie. »Machen Sie die Tür zu.«
Sie streckte die Hand aus und zog die Vorhänge vor dem Fenster zu. Dieser vollgestopfte Raum mit den kalten Heizkörpern. Ihr blaues Kleid war aus ganz dünnem Stoff, sodass ich die Häkchen ihrer Unterwäsche durch den Satin sehen konnte.
Ich fuhr mir nervös mit der Zunge über die Lippen.
Ohne mich auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, hob sie sehr langsam die Arme. Ihr Blick war so intensiv, dass ich gar nicht mehr wusste, was mich mehr faszinierte, die verführerische Bewegung der Arme oder diese gespannten grünen Augen. Ich war hin und gerissen, halb erschrocken, halb entzückt.
Sie nestelte an dem goldenen Stoff, wickelte ihn langsam ab, zog ihn weg und hielt ihn zusammengeknüllt in beiden Händen.
Mein Gott. Sie war kahlköpfig bis auf einige dünne Haarbüschel, zwischen denen gespenstisch die bleiche Kopfhaut durchschimmerte.
Ihr Gesicht war vollkommen ruhig, vollkommen leer. Aber ihre Augen
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