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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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als wäre ich gar nicht da; ich nahm alles um mich herum nicht richtig wahr. Mir war plötzlich ganz kalt in der Kehle.
    »Was ist los?«, fragte Chip. »Du verschweigst doch was, Mann.«
    Ich räusperte mich. Ich starrte auf die Türen zur Eingangshalle. »Vielleicht ist Paul zur Wohnung gegangen. Er hat darüber geredet, dass dort was ist, was er unbedingt braucht.«
    »Und was ist das?«
    Ich zuckte die Achsel. »Das hat er nicht gesagt. Es war ihm irgendwie unangenehm.« Mein Blick fiel auf sein Klavier. Der Deckel stand offen, und es grinste mich mit seinen weißen Zähnen an. Ich bekam Angst. »Ich sagte ihm, er könnte ja Delilah bitten«, murmelte ich leise.
    »Er sah schlecht aus«, sagte Hiero und zupfte abwesend an seinem ausgefransten Ärmel. »Ich hab ihn ein paarmal gefragt, ob ihm nicht gut ist, aber er sagte, nein, alles okay. Dabei sah ich ihm an, dass irgendwas nicht stimmte.«
    Ich dachte daran, wie Paul gestern Abend gewesen war, sah seine blonden Haare, die zerzaust vom Kopf abstanden, hörte sein betrunkenes Lachen. Chip seufzte und legte seine dicken Hände auf die Tischplatte.
    »Wie war das? Ernst ist auch weg?«, sagte ich. »Scheiße. Wenn er nicht wiederkommt, sind wir geliefert.«
    »Jetzt mach mal keine Panik«, sagte Hiero. »Wenn sie bloß zur Wohnung gegangen sind, kommen sie bald zurück. Es ist ja nicht weit.«
    »Paul ist jetzt schon seit Stunden weg, Mann.«
    Mir war irgendwie schwindlig, ich fühlte mich dünn, fast durchsichtig vor Angst. »Wie spät ist es jetzt?«
    »Schon nach Mittag«, sagte Chip.
    »Ernst wollte in der Wohnung nachschauen«, sagte der Junge ruhig. »Er wird sie finden. Mach dir keine Sorgen, Sid. Vielleicht sind die beiden gar nicht zusammen.«
    Ich warf ihm einen verzweifelten Blick zu und schüttelte den Kopf.
    »Wenn sie geschnappt worden sind«, sagte Chip, »wenn sie geschnappt worden sind, dann müssen wir schleunigst von hier weg. Dann kommt die Gestapo als Nächstes nämlich hierher.«
    Aber wenn sie geschnappt worden waren, dann war sowieso alles aus.
    »Wir müssen die Ruhe bewahren«, sagte der Junge. »Sie können jeden Augenblick zurückkommen. Wir wissen es einfach nicht.« In seiner Stimme klang eine Stärke, die mir zuerst fremd vorkam. Und dann erkannte ich sie wieder. Es klang nach Delilah.

    Ernst kam spät in der Nacht zurück. Wir waren mittlerweile ganz zerfressen vor Angst und Nervosität. Ernst trat ganz langsam herein – ich wusste es sofort, obwohl sein Haar so untadelig glatt frisiert war, seine silbernen Manschettenknöpfe blinkten wie immer. Seine bleiche Hand strich seine Krawatte glatt, dann schüttelte er den Kopf.
    »Wieso sitzt ihr im Dunkeln?«, sagte er. »Mach mal jemand das gottverdammte Licht an.«
    Ich wurde ganz mutlos.
    »Nichts?«, fragte Chip. »Wirklich?«
    »Vielleicht ist das ja eher ein gutes Zeichen«, sagte Hiero. »Vielleicht bedeutet es, dass sie in Sicherheit sind.«
    »Nein«, sagte Ernst, »es ist kein gutes Zeichen.« Er stutzte und sah den Jungen scharf an. Seine Augen schimmerten. »Was meinst du mit ›sie‹?«
    »Delilah ist auch schon den ganzen Tag weg«, sagte Chip und warf mir einen Blick zu.
    Ich spürte, dass meine Gedanken Karussell fuhren. »Warst du bei der Polizei?«, fragte ich nervös.
    »Ja.«
    »Hat man sie geschnappt?«
    »Die sagen, sie haben nichts von einer Person gehört, auf die Pauls Beschreibung passt.« Er schluckte. »Nach Delilah
hab ich natürlich nicht gefragt. Aber sie ist Kanadierin. Sie ist nicht in Gefahr.«
    »Sie hat außerdem auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.«
    Ernst nickte. »Desto besser.« Aber in seiner Stimme klang etwas Weiches, Nachgiebiges, das mir zu verraten schien, dass er selbst nicht daran glaubte.
    »Ah, schau mal, wer da kommt«, flüsterte Chip.
    Ich blickte auf.
    Der Große Fritz schlüpfte durch den rußschwarzen Vorhang auf der Rückseite der Bühne. Er hatte sein Saxophon dabei, sein Mantel hing über seinem Arm. Einen Moment lang glaubte ich, er sei nur ein Phantom. Ich saß bewegungslos da und beobachtete ihn. Er blieb kurz stehen und musterte die Katze, die auf einem Haufen Lumpen lag. Dann kam er nach vorn und ging zu uns herunter.
    Er sah schrecklich aus. Sein brauner Anzug war nass und verdreckt, sein rotes Gesicht stoppelig. Seine kleinen Feuersteinaugen wanderten von einem zum anderen. Sein Mund versank zwischen den weichen Wangen wie in feuchtem Teig. Es sah so aus, als setzte er zum Sprechen an, aber dann ließ er

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