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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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großen Rädern setzte sich bebend in Bewegung und rollte langsam hinaus auf die unbelebte Straße.

    Wir fuhren durch das düstere Stettin stadtauswärts, vorbei an zernarbten grauen Betonfassaden, verrammelten Fenstern, schwarz gekleideten Menschen mit Einkaufstaschen voller Lebensmittel. Die Straßenbeleuchtung war an, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Die Landstraße wirkte windgepeitscht und nackt, als stünde der Winter dicht bevor.
    Wir waren gerade mal zehn Minuten unterwegs, da hielt der Bus. Ein alter Mann taperte durch den Mittelgang nach vorn, kletterte hinaus und machte sich auf den Weg über die dunklen Felder. Er trug einen Sack Zwiebeln über der Schulter. Ich sah ihn durchs Zwielicht stapfen und verschwinden.
    Der Bus fuhr weiter. Der Asphalt auf den Straßen war schlecht, die alte Karre bewegte sich holpernd und ruckelnd und knirschend vorwärts. Die Stadt lag jetzt weit hinter uns, wir fuhren durch ödes Land, vorbei an trostlosen Feldern, an langgezogenen dunklen Waldstücken. Nach und nach dämmerte mir, dass das alles wirklich war. Ich glaubte es nicht so recht, dann war ich sicher, dass ich es nicht glaubte, und dann sagte ich mir, dass es egal war, ob ich es glaubte oder nicht. Aber ich war hier, und ich bezweifelte nicht mehr, dass Hiero dort sein würde, wo er Chip zufolge sein sollte.
    »Half Blood Blues«, sagte Chip unvermittelt. Er rieb sich die stoppeligen Wangen, als wollte er seine Krallen schärfen.
»Weißt du, ich habe immer gedacht, er hat den Titel auf sich selbst bezogen.«
    »Jetzt nicht, Chip. Lass es eine Weile ruhen.«
    »Aber das stimmt nicht. Er hat das Stück nach Delilah benannt.«
    Ich schloss die Augen. Plötzlich wollte ich überhaupt nicht mehr darüber reden, weder jetzt noch später.
    »Wir hätten daran denken sollen, ihm was mitzubringen«, sagte Chip. »Ein Geschenk.«
    Ich schnaubte verächtlich. »Was zum Beispiel? Eine Flasche Wein? Einen Schlüsselanhänger?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwas. Es ist einfach nicht gut, mit leeren Händen bei jemandem reinzuschneien.«
    Ich hatte die Augen immer noch zu. Jetzt öffnete ich sie und sah ihn an. »Das beunruhigt dich? Dass du kein Geschenk dabeihast?«
    Chip ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Es kann nicht schaden, wenn man höflich ist, Sid. Mehr sag ich nicht.«
    Die Stunden verstrichen. Irgendwann schlief Chip ein. Ich dämmerte weg und wachte wieder auf. Ich schaute zu Chip hinüber, der leblos wie der Winter dalag. Sein Gesicht war ganz glatt, die Haut ohne Runzeln weich hingegossen wie Wasser, sodass man fast die blanken Knochen darunter sehen konnte, sein eigentliches Wesen.
    Aber dann schlug Chip ein Auge auf. Seine dünnen feuchten Lippen waren heruntergezogen. »Hey.«
    Ich schaute ihn schläfrig an.
    »Hey«, sagte er noch einmal. »Sid.«
    »Was ist?«
    »Hey, kannst du dich noch an Panther Brownstone erinnern?«
    »Mmm.«
    »Der Typ, dem ich meinen ersten großen Auftritt am Schlagzeug verdanke.«
    Ich verzog das Gesicht. »Nicht nur am Schlagzeug. Weißt du noch, wie das Mädchen hieß?«
    »Scheiße.« Chip lächelte versonnen. Er setzte sich auf. Das Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. »Das hatte ich vergessen. Mannomann, deine hatte ein so tolles Fahrgestell, dass man sofort das ganze Auto kaufen wollte.«
    »Das Mädchen war meine erste Liebe«, sagte ich.
    »Sie konnte jedenfalls schöner blasen als die meisten Trompeter.«
    Ich grinste. »Kann sein. Aber wie kommst du jetzt auf Panther?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Das alles da …« Er machte eine vage Geste zum Fenster hin, vor dem Grau in Grau, so weit das Auge reichte, immergleiche Felder und Äcker vorbeizogen. »Irgendwie gibt einem das zu denken.«
    Ich nickte. »Was ist mit dem?«, fragte ich nach einer Weile.
    »Mit wem?«
    »Mit Panther Brownstone. Was wolltest du von dem erzählen?«
    »Nichts Besonderes. Ich dachte nur, dass er einem wie so ein richtig übles Arschloch vorkam, aber das war er nicht.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    Aber er war ein Arschloch. Ich wusste es noch genau. Ein verregneter Dienstag, es war schwül in Baltimore, und in der Luft hing der Geruch von Pisse. Ich zitterte wie blöd, als ich mit Chip diesen Club betrat. So etwas hatte ich mit meinen
dreizehn Jahren noch nie gesehen. Die Kneipe war dunkel wie mein Hemdkragen, es stank nach Spiritus, primitive Holztische standen über den schwarz-weißen Fußboden verstreut. Und Panther Brownstone, knochig und klapperdürr wie ein

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