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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Wochenende im Oktober besuchen. Bis dann .«
    Chip legte den Kopf schief und grinste. »Gar nicht so schlecht.«
    Leute gingen an uns vorbei und warfen uns neugierige Blicke zu, aber das war mir egal. Ich stand da und wackelte mit dem Kopf, als hätte ich keine Halsmuskeln mehr, als hoffte ich, wenn ich nur lang genug wackelte, würden sich die Schrauben lösen, und er würde endlich abfallen.
    »Aber, Sid«, sagte Chip, nachdem er mir eine Weile mit einem total verwirrten Gesichtausdruck zugesehen hatte, »er wird sich freuen , wenn er uns sieht.«

    Mir war richtig schlecht. Ich stellte mir die ganze Zeit vor, wie wir bei Hiero auftauchen würden und er die Tür vor meiner Nase zuschlagen würde. Vielleicht würde er mich auch packen und hochkantig rausschmeißen oder eine Axt aus dem Schuppen holen, um mir den Schädel einzuschlagen, und ich würde heulen und um mein Leben winseln. Lauter solche Sachen eben.
    Aber ich stieg in dieses blöde Flugzeug. Meine Knie zitterten. Chip schien es gar nicht zu bemerken.
    Der Flug nach Stettin dauerte nicht lange, dafür brauchte das Taxi zum Busbahnhof eine Ewigkeit. Von Stettin kriegte
ich nicht viel zu sehen, die Stadt kam mir einfach nur düster und kalt vor. Ich rieb meine Hände, aber sie hörten nicht auf zu zittern.
    Unser Bus stand, durch einen Maschendrahtzaun von den anderen abgetrennt, vor einem grauen Betongebäude voller Risse, die sich wie Spinnweben auf den Mauern ausbreiteten.
    »Das ist nicht dein Ernst«, sagte ich.
    Chip legte mir eine Hand auf die Schulter. »Scheiße«, sagte er. Und dann mit einem Lächeln: »Aber ich denke, er wird uns hinbringen. So wie das Ding aussieht, hat es die letzten fünfzig Jahre auch immer brav funktioniert.«
    »Der schafft es doch nicht mal vom Parkplatz bis auf die Straße«, murmelte ich.
    Der Bus war ein Fossil . Ein alter mit Staub bedeckter Kasten, hochbeinig mit Rädern wie ein Militärlaster, die Federn rostig, das Blech überall verbeult, als wäre das Fahrzeug gerade von einem Kampfeinsatz zurückgekommen. Die sowjetische Kühlerhaube ließ es wie ein unheimliches Rieseninsekt wirken, und die offenstehenden Klappen des Gepäckfachs, die an ausgebreitete Flügel denken ließen, verstärkten diesen Eindruck. Die Fenster waren so verdreckt, dass ich nicht durchsehen konnte. Das ist kein Bus, das ist ein Wrack, dachte ich.
    Chip war schon dabei, unser Gepäck zu verstauen.
    »Chip«, sagte ich.
    »Was?«
    »Wie lang soll eigentlich die Fahrt dauern?«, fragte ich.
    »Einen halben Tag vielleicht.«
    »Geschlagene zwölf Stunden, meinst du? Oder eher so was wie: Du machst ein Nickerchen, und wenn du aufwachst, sind wir schon da?«
    Er zuckte die Achseln. »Ist doch egal. Kommst du?«
    Chip schritt an mir vorbei zum Einstieg, fasste die Haltestange mit einer Hand und hievte sich mühsam hinauf. Der Bus stand so verdammt hoch über der Straße, dass ich gar nicht sicher war, ob ich es schaffen würde, mich da hochzuwuchten. Wieso gab es keine Leiter?
    Drinnen war es dunkel. Blinzelnd stieg ich die Stufen hinauf. Der Fahrer saß hinter seinem Riesenlenkrad, sein Gesicht war zernarbt und unfreundlich. Seine Augen konnte ich in dem dämmrigen Licht nicht sehen. Ich nickte ihm grüßend zu. Er schaute weg.
    »Will der gar nicht unsere Fahrkarten sehen?«, fragte ich Chip, als wir Platz nahmen.
    Chip zuckte die Achseln.
    Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Halbdunkel. Um mich herum überall schmutziges Gelb wie in einer öffentlichen Toilette, die Sitze waren ungepolstert und rochen nach alter Pisse. Da saßen noch andere Leute zusammengekauert in der Kälte, blass und finster, alle darauf bedacht, jeden Augenkontakt zu vermeiden. Mich fröstelte. Leute, die komische Bündel auf dem Schoß hielten, Kopftücher und Kapuzen tief heruntergezogen, die Gesichter verschwommen und undeutlich. Irgendwo weiter hinten hustete eine Frau.
    Es war, als hätten sie bloß auf uns gewartet. Kaum hatten wir uns hingesetzt, stieg der Fahrer aus, knallte die Klappen des Gepäckfachs zu und kam finster um sich blickend wieder. Er bellte einige Worte auf Polnisch, aber niemand schien darauf zu achten. Dann setzte er sich hin, zog ein paar Hebel, erweckte den vorsintflutlichen Motor zu brüllendem Leben und klappte sein verdrecktes Fenster auf. Die Bremsen
ächzten, unter unseren Füßen erhob sich ein Zischen wie von Giftnattern.
    Und dann ertönte ein Geräusch, als entwiche etwas unter enormem Druck. Das rostige Ungetüm auf seinen

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