Spieltage
Deutschen Kreditbank aufgenommen. Die Zahlen stürzten über seinem Kopf zusammen.
In ihren amtlichen Bekanntmachungen von Juni 1997 teilte die Dresdener Justiz mit, über das Vermögen der Hotelbetriebsgesellschaft »Alte Reichskrone« GmbH, Dresdener Straße 84, 01809 Heidenau, vertreten durch den Geschäftsführer Heinz Höher, sei am 8. 6. 1997 um 0:00 Uhr die Gesamtvollstreckung eröffnet worden. Ein langer, umständlicher Satz, ein kurzer, trockener Schlag. Das Hotel ging in Konkurs.
Heinz Höher übergab die Angelegenheit einem Anwalt, so ersparte er sich die Details. Bei ihm kamen nur die großen Nachrichten an. Die Reichskrone wurde zwangsversteigert. Dann wurden die Wohnhäuser in Heidenau gepfändet. Schließlich wurde das Bürogebäude in Pirna den Banken überschrieben. Ihm blieben nur noch Schulden. Die Gefühle durchweg durch ein oder 1,5 Promille Alkohol abgestumpft, ließ sich die Realität ganz gut ertragen. Wenn nur nicht die Blicke seiner Frau und der Kinder gewesen wären.
Doris betrachtete den Ring, den sie sich am 6. Juni 1995 gekauft hatte. Der glücklichste Tag ihres Lebens, hatte sie gedacht. Wie blauäugig sie gewesen war, dachte sie jetzt. Sie hatte damals wirklich geglaubt, er würde es schaffen, vom Trinken zu lassen.
Sonntagabends, am Ende eines Wochenendbesuchs, sagte Thomas zu ihm: Papa, halte durch, du schaffst das, nichts zu trinken. Dann fühlte Heinz Höher sich verpflichtet, es zu versuchen. Er konnte doch nicht vor seinem eigenen Sohn solch eine jämmerliche Figur abgeben. Aber schon nach fünf Stunden ohne Alkohol wachte das Zittern in ihm auf, er fürchtete das Zittern, die Eiseskälte des Körpers und die Rohheit der Nerven, die mit dem Zittern kamen. Das Quietschen einer Tür und jedes Wort eines Menschen wurden unerträglich. Ach, was ließ er sich von seinem Sohn sein Leben vorschreiben, der war doch mit 22 noch ein halbes Kind. Heinz Höher hatte über das ganze Haus verteilt Verstecke für seine Flaschen.
Er traf sich mit seinen Skatbrüdern im Altmühltal, er hatte ein fabelhaftes Blatt auf der Hand, ein todsicheres Kreuz mit Dreien. Einer hielt beim Reizen dagegen. Die anderen zockten manchmal mit absurdem Risiko. Ihnen tat es nicht weh zu verlieren.
Das Spiel konnte Heinz Höher nicht verlieren. Er dachte es immer noch, als er schon verloren hatte. Er bat die Mitspieler, ihm wenigstens Geld für das Taxi zu leihen. Er hatte in dem einen Spiel 7380 Mark verloren.
Gelegentlich riefen ihn noch die Zeitungsreporter an. Zitate aus dem Bundesligabetrieb zu ergattern war die Besessenheit der Journalisten im modernen Fußball. Zitate waren wichtiger als die eigenen Beobachtungen. Die Texte der Nachrichtenagenturen von Bundesligabegegnungen waren häufig nur noch eine Aneinanderreihung von Zitaten. Zitate suggerierten Nähe und Authentizität. Die professionellen Pressestellen wie die von Bayern München oder Werder Bremen verteilten deshalb in den Neunzigern Telefonlisten mit den Privatnummern aller Spieler an die lokalen Berichterstatter. Einmal klingelte bei Bayern-Trainer Erich Ribbeck nachts um drei das Telefon. Ein Student, der als freier Mitarbeiter für die Süddeutsche Zeitung schrieb, feierte eine Party, und ein Gast machte zum Amüsement der Feierrunde von der Telefonliste Gebrauch, um Ribbeck zu sagen: »Erich, hier ist der Uli, es gibt schon wieder Ärger mit dem Lothar.«
Doch das waren verschmerzbare Störungen. Die Bundesligaakteure der Neunziger hielten es für wahnsinnig wichtig, ihre Zitate in der Zeitung zu sehen. Wer einen Stellenwert im Team besitzen wollte, musste auch außerhalb des Platzes auffallen, glaubten sie. Schließlich ging es doch bei ran und folglich in fast allen Medien mindestens genauso um das Ballyhoo wie um das Spiel. Fußballer wie Matthäus, Effenberg, Klinsmann, die Anführer sein wollten, markierten ihr Revier mit Zitaten; Spieler, die mit ihrer Nebenrolle unzufrieden waren, machten dem Trainer mit kernigen Aussagen über die Medien Druck. Der Trainer schlug dann mit gesalzenen Sätzen über die Medien zurück. Bayerns Mittelfeldspieler Thomas Strunz raunte nach einer Auswechslung säuerlich in das ran- Mikrofon, man müsse mal die Taktik des Trainers hinterfragen, und der Trainer Giovanni Trapattoni antwortete zwei Tage später: »Struuunz! Was erlauben Strunz? In diese Spiel, es waren zwei, drei oder vier Spieler, die waren schwach wie eine Flasche leer!«
Weil den Boulevardreportern das tägliche Spektakel der Aktiven
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