Spieltage
Fixierung auf den Kampf Mann gegen Mann langsamer spielen und den Gegnern mehr Spielraum lassen als Franzosen, Italiener oder gar Norweger, sagten die wenigen, die auf der Suche nach neuen Ideen die Welt bereisten – aber das waren doch die Miesepeter, für die es anderswo immer besser war.
Geflüstert wurde vornehmlich im Keller des Profifußballs: im Jugendbereich. Es würden in den nächsten fünf, sechs Jahren nur wenige herausragende Talente aus den Jugendmannschaften nachrücken, prophezeiten die Aufmerksamen unter den Nachwuchstrainern. Denn in der Ausbildung der Kinder, die doch nicht so wichtig war, hatten die meisten deutschen Vereine einfach immer so weiter gemacht: Kondition und Kraft wurden vehement trainiert, jedoch roh, nicht fußballspezifisch. Das Zusammenspiel und die Taktik wurden dafür vernachlässigt, im Vertrauen, dass es schon genug Talente gab, die bloß durch die Willensschule des harten Trainings geformt, nicht gefördert werden mussten.
Unbemerkt von der sich selbst feiernden Bundesliga mit ihren rasanten ran- Bildern kämpften einige wenige Männer wie der Jugendkoordinator des VfB Stuttgart Helmut Groß, ein Brückenbauingenieur, an der Basis für ihre Art der Modernisierung: Sie ließen ihre Jugendmannschaften eine Raumdeckung praktizieren, bei der sich in jeder defensiven Situation die gesamte Elf nach Plan bewegen musste. Sie gaben in zahlreichen neuen Kleinfeldübungen dem Spiel am Ball die Priorität. Der Gedanke war so simpel wie revolutionär: Je öfter ein Junge den Ball berührte, desto besser wurde er.
Reinhold Hintermaier war mit seiner Idee, nach der eigenen Spielerkarriere eine private Fußballschule zu eröffnen, nur dem Zeitgeist der Bundesliga gefolgt: Alles wurde professioneller, mit allem war Geld zu verdienen. Doch vom Zufall geführt, geriet Heinz Höher in Hintermaiers Fußballschule an den spannendsten Ort im deutschen Fußball Ende der Neunziger: In der Nachwuchsförderung wurde die deutsche Art, Fußball zu spielen, umgewälzt.
Vor Heinz Höher in der Turnhalle standen seine neuen Spieler. Kinderaugen sahen ihn verlegen an oder auch einfach nur auf den Boden, um dem Blick des weißhaarigen Herrn im Trainingsanzug nicht zu begegnen. Heinz Höher war in 434 Bundesligaspielen Trainer gewesen. Nun wartete eine Gruppe Zwölfjähriger aus Hintermaiers Fußballschule auf ihn. Er konnte sein eigenes Herz klopfen hören. Seine Augen wurden wässrig. Er versuchte die Freude, die seinen ganzen Körper ausfüllte, zu bändigen und gleichzeitig zu genießen. Ihm war danach, die Luft tief einzusaugen. Er war wieder Trainer.
Er erinnerte sich an seinen Traum. Eine Vereinsmannschaft von Zwölfjährigen über sieben Jahre ausbilden, jeden Nachmittag mit ihnen verbringen, beim Mannschaftstraining auf dem Sportplatz, beim Sondertraining im Park, sie wachsen sehen und dann nach sieben Jahren beim Bundesligadebüt der besten drei, vier auf der Tribüne sitzen und sich von der Erinnerung überwältigen lassen, wo sie gemeinsam herkamen. Reinhold Hintermaier lächelte vorsichtig, wenn ihm Heinz Höher wieder und wieder von dem Traum erzählte.
Kommen Sie am Samstag einfach mal mit, sagte Hintermaier 1998 zu Heinz Höher, es wurde schon Frühling. Dann lernen Sie mal Herrn Hack kennen.
Hintermaier leitete, neben seiner privaten Fußballschule, als Koordinator die Jugendabteilung des Zweitligisten Spielvereinigung Greuther Fürth. Herr Hack war der Präsident.
Am Samstag um neun Uhr morgens standen sie zu dritt dicht zusammengedrängt unter einem Baum an der Vereinsanlage des Tennis- und Hockey-Club Nürnberg. Es regnete in Strömen. Hintermaier und Helmut Hack suchten einen Trainingsplatz für ihre Jugendmannschaften. Es wurde um 1998 viel geplant und in die Wege geleitet in der Nachwuchsförderung, Internate für Talente gebaut, Papiere über Kooperationen mit Schulen und neue Trainingsformen geschrieben, aber in der Realität trainierten etliche Jugendmannschaften der Profivereine noch auf Aschenplätzen oder wie in Fürth jede Woche auf verschiedenen, bei Amateurteams angemieteten Spielfeldern.
Unter dem Baum sahen sie dem Regen zu. Sie sprachen über Belangloses, was halten Sie von dem Platz beim THC, bei Kunstrasen gibt es heutzutage ganz unterschiedliche Qualitäten, ach ja. Zutrauen entstand oft nicht durch Worte, sondern durch physische Nähe; gemeinsam unter einem Baum im Regen. Wenige Wochen später bat Herr Hack, ihn zu sehen. Er sei daran interessiert, Heinz Höher
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