Spieltage
gesund sein«, sagte Molle Schütt der Bild- Zeitung.
Heinz Höher flüchtete nach vorne. In einem halben Dutzend Interviews sprach er scheinbar offen über sein Verhältnis zum Alkohol. »Es ist bekannt, dass ich vorsichtig mit Alkohol sein muss.« – »Ich bin sicher kein Antialkoholiker.« – »Ich trinke gewiss mehr Alkohol als normale Bürger.« Bei allen Interviews fügte er an: »Aber ich bin kein Alkoholiker.« Galt denn die Unterscheidung nicht mehr zwischen einem Hemingway, der ordentlich was wegsteckte, der was vertrug, und einem Säufer, der im Parkgebüsch lag? Sahen die Leute nicht mehr, in welche Kategorie er gehörte?
Aus der Zeitung erfuhr er, dass der VfB Lübeck vor der Verpflichtung eines neuen Trainers stand. Molle Schütt verkündete: »Wir gehen davon aus, dass das Leben weitergeht.«
Zu Hause bei Heinz Höher in Nürnberg stand eine Woche nach dem Zusammenbruch noch immer der Koffer im Flur, mit dem er nach Lübeck gereist war. Mit dem er nach Lübeck zurückkehren wollte.
An der Wende eines Jahrtausends
Die unerträgliche Entdeckung der Raumdeckung
Es blieb Doris überlassen, sein Leben aufzuräumen. Heinz Höher selbst konnte sich nicht von Dingen trennen. In dem mit alten Möbeln eingerichteten Keller lagerten komplette Jahrgänge von Fußballzeitschriften und Tausende von Tommo-Büchern. Erst wenn es Doris wieder einmal zu viel wurde, griff sie energisch zu, dann musste der ganze Plunder auf die Straße, zum Sperrmüll.
Im Frühling 1997 warf sie die Buchattrappen aus seinem Regal weg, er hatte schon viel zu viele Bücher, wozu brauchte er auch noch Attrappen.
Wo sind die Buchattrappen, Doris, fragte er, als er das entrümpelte Regal sah. Er versuchte, die Panik aus seiner Stimme zu halten.
Vor der Haustür, beim Sperrmüll. Was willst du denn mit dem ganzen Ramsch!
Heinz Höher rannte auf die Elbinger Straße und wühlte zwischen dem Abfall. Aus den Buchattrappen zog er mehrere Tausend Mark.
Er hatte sein Geld zum Kartenspielen in den falschen Büchern versteckt gehabt.
Skat war sein Fußballersatz. In seinem Selbstverständnis war er auch nach der letzten Chance von Lübeck Bundesligatrainer geblieben, aber Heinz Höher wusste und verdrängte es gleichzeitig, dass er in der Welt der schnellen Urteile nun der mit dem Alkoholproblem war. Er war 59. Niemand fragte mehr: Und, hat er schon was Neues?
Er hätte versuchen können, in der Amateuroberliga einen Posten zu ergattern. Aber er würde sich doch nicht um seinen eigenen Abstieg bemühen. Er war noch nie einer Stelle hinterhergelaufen. Darauf war er stolz.
Irgendwann spuckte die Bundesliga alle ihre Kinder aus, ob Spieler oder Trainer, irgendwann schrieben die Sportreporter ein »Ex-« davor, Ex-Bundesligaprofi, Ex-Bundesligatrainer, und die meisten mussten damit zurechtkommen, dass sie sich immer noch wie ein Bundesligaspieler, Bundesligatrainer fühlten, es aber nicht mehr waren.
Er spielte einmal im Monat in der Runde von Dieter Reiber Skat. Die anderen wussten nach sieben oder acht Stichen nicht mehr genau, welche Karten schon gefallen waren. Er merkte sich exakt, wer welche Karten gespielt hatte, welche Karten demnach noch im Spiel waren. Als er vor Jahren auf der Autobahn mit Thomas das Nummernschild-Merk-Spiel gespielt hatte, war Heinz Höher aufgegangen, dass er offenbar eine außergewöhnliche Merkfähigkeit besaß. An den Spielabenden mit Dieter Reiber und dessen Kollegen gewann er meist zwischen 300 und 2000 Mark. Damit kam er durch den Alltag.
Er versuchte schon seit Jahren, das Hotel in Dresden abzustoßen, aber wer wollte ein Hotel mit 80 Zimmern in einem Dresdner Vorort? Die Alte Reichskrone brachte ihm jeden Monat 20000 Mark Verlust. In seinem Bürogebäude in Pirna standen einige Stockwerke leer, Pirna verlor wie die meisten Kleinstädte in der ehemaligen DDR nach der Wende an Einwohnern. Von 48000 auf 39000 war die Bevölkerungszahl gesunken. Wer mietete Büros in einer schrumpfenden Kleinstadt?
Der Gerichtsvollzieher klingelte an der Tür. Er bemühte sich um einen verständnisvollen Ton, er konfiszierte keine Wertgegenstände. Er blieb nur eine Mensch gewordene Drohung, dass es bald so weit sein könnte.
Der Schwiegersohn half Heinz Höher aus, als es darum ging, eine Summe mit den Banken sofort zu begleichen. Ein paar Wochen später erschien der Gerichtsvollzieher wieder. Der Schwiegersohn sprang erneut ein. Heinz Höher hatte Kredite bei der Hypobank, der Deutschen Bank, der Ostsparkasse und der
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