Spieltage
Jugendkoordinator und andere Jugendtrainer misstrauisch die Höhere Fußballschule. Heinz Höher hatte die D-Jugend-Spieler so eng an sich gebunden, als ob sie für den FC Höher, nicht für die Spielvereinigung Greuther Fürth spielten. Was, wenn die Spieler nächstes Jahr zu Trainer Hintermaier in die C-Jugend aufrückten, aber die halbe Woche weiter privat bei Heinz Höher trainierten, waren da nicht Konflikte programmiert? Was, wenn Heinz Höher eines Tages die Spieler zu einem Wechsel zum 1. FC Nürnberg oder zum VfB Stuttgart animierte? Hatte er nicht sogar schon davon geredet, mindestens zwei der Jungen würde er zu Bayern München bringen? Was, wenn er auch noch Spieler der anderen Fürther Jugendmannschaften für seine private Eliteförderung anwarb, anderen Jugendtrainern in die Arbeit pfuschte?
Niemand hatte versucht, mit Heinz Höher darüber zu reden. Er wirkte doch sowieso so, als ob man mit ihm nicht reden könnte.
Im Profifußball zählte das hintenherum gesprochene Wort. Es wurde getuschelt, gelästert, und irgendwann kam dann zumindest die halbe Wahrheit auch bei dem Betroffenen an.
Heinz Höher verstand es immer noch nicht. Wie konnte man ihm vorwerfen, dass er alles für die Jungen tat? Und selbst wenn Juri oder Daniel Adlung irgendwann zu Bayern München wechseln sollten, dann erhielt doch die Spielvereinigung eine handfeste Ablöse.
Er hatte sich, wenn er in der Bundesliga entlassen worden war, nie um einen neuen Posten bemüht. Das fand er zu peinlich. Im Sommer 2000 kämpfte er wie von Sinnen um seinen Job als D-Jugend-Trainer. Er schaltete die Anwaltskanzlei Lovells Boesebeck Droste ein, um die Kündigung anzufechten, vergebens. Er ließ Doris einen Brief an den Präsidenten der Spielvereinigung schreiben: »Sehr geehrter Herr Hack, Sie können nicht wissen, was Sie uns mit der Kündigung antun. Mein Mann hing mit Leib und Seele an seinen Jungs, nie habe ich ihn fröhlicher gesehen.« Er ließ sich von Juris Mutter eine Bevollmächtigung geben, den Jungen gegebenenfalls bei der SG Quelle Fürth anzumelden, Daniel Adlung und Samil Cinaz hatten sich nach seiner Entlassung schon dem 1. FC Nürnberg angeschlossen. Er klapperte die Sportredaktionen der Nürnberger Zeitungen ab, um seinen Fall öffentlich zu machen. Zum ersten und vermutlich einzigen Mal erschien die Geschichte eines D-Jugend-Trainers in riesigen Buchstaben auf Seite 1 der Abendzeitung: »Gefeuert, verbittert: Das Drama um Heinz Höher«. Was der Redakteur der Abendzeitung als Erstes bemerkte, war, wie gebeugt Heinz Höher ging.
Heinz Höher hatte einen Bekannten beobachtet, einen Kinderarzt, der kürzlich in Rente gegangen war. Jeden Morgen war der Kinderarzt von der Endlosigkeit eines leeren Tages ein Stück mehr in die Lethargie gezogen worden. So wollte er nicht enden.
Er sah Fernsehen, um sich abzulenken, und selbst die Fernsehbilder schienen plötzlich im Zusammenhang mit seiner Entlassung bei der D-Jugend zu stehen: Als Vorrundenletzter sah die deutsche Nationalelf bei der Europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlanden wie eine Mannschaft aus der Vergangenheit aus, ohne Esprit, ohne Talent – und er hätte die Talente doch ausgebildet! »Fußballdeutschland liegt am Boden«, schrieb er noch einmal einen Brief an Präsident Hack, »alles beklagt die fehlende Nachwuchsarbeit, und Sie treten ein zartes hoffnungsvolles Sprösslein tot.«
Der graue Fußball der Nationalelf bei der Europameisterschaft 2000 verstörte die deutsche Öffentlichkeit. Bundestrainer Erich Ribbeck, der sich über Ralf Rangnicks Volkshochschulkurs in Sachen Raumdeckung im Aktuellen Sportstudio echauffiert hatte, ließ den 39-jährigen Lothar Matthäus als Libero tief hinter der Abwehr spielen, wie es deutsche Teams nach Ribbecks Empfinden doch immer gemacht hatten, und auf einmal sah selbst das Spiel von kleinen Nationen wie Portugal, Rumänien oder Norwegen raffinierter, flinker aus. So wurde die Europameisterschaft 2000 in der Geschichte der Bundesliga als Wegscheide markiert; als eine deutsche Art, Fußball zu spielen, unterging und eine neue geboren wurde. Um sich wieder von der Masse abzuheben, mussten deutsche Fußballer technischer, schneller spielen. Das Zusammenspiel, das kollektive Verteidigen des Raums, Automatismen beim Angriff, mussten gewissenhafter einstudiert werden. Tatsächlich hatten Ausbilder wie Volker Finke in Freiburg oder Helmut Groß in Stuttgart die Bewegung schon ein halbes Jahrzehnt vorher begonnen. Erst jetzt
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