Spieltage
nicht, dass er fragte. In seinen Augen bettelte er. Augenthaler sagte, es tue ihm leid, da sei er nicht der richtige Ansprechpartner.
Heinz Höher rief von einer Parkbank am Marienberg Edgar Geenen an, den Sportdirektor des 1. FC Nürnberg. Haben Sie nicht irgendetwas für mich, sagte er zu Geenen, ich stelle auch die Hütchen in der F2-Jugend auf.
Vielleicht gehe in der E-Jugend etwas, sagte Geenen. Aber die E-Jugend-Stelle, stellte sich heraus, war schon besetzt.
Elektro Hoffmann meldete sich bei ihm. Hans Hoffmann verkaufte nicht nur Waschmaschinen und Toaster, sondern engagierte sich auch als Sponsor für die Frauenmannschaft des 1. FC Nürnberg. Er hatte von Heinz Höhers verzweifelter Suche nach Beschäftigung aus der Zeitung erfahren. Wollte er nicht die Frauen trainieren?
Frauenfußball. Heinz Höher hatte sich, ganz neutral gesagt, nie damit beschäftigt. Er hatte, ganz objektiv betrachtet, auch keine Wahl. Es war Januar 2001, seit einem halben Jahr war er ohne Mannschaft.
Er erschien an einem Winternachmittag zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder in Trainingsanzug und Fußballschuhen auf dem Vereinsgelände des 1. FC Nürnberg und bekam gleich einen bildlichen Eindruck von seiner neuen Rolle. Das moderne Frankenstadion und die Trainingsplätze der Profis mit dem saftigen Rasen bildeten nur die Kulisse für sein Training. Er musste mit den Frauen auf den matschigen Aschenplatz.
Noch nie hatte ein Bundesligatrainer eine Frauenelf trainiert. 28 Jahre nachdem Carmen Thomas »Schalke 05« gesagt hatte, war Frauen und Fußball ein kurioses Thema geblieben. Nach Carmen Thomas hatten nur vier Frauen das Aktuelle Sportstudio moderiert; alle nur kurzzeitig. In der ARD dauerte es bis 1999, bis eine Frau, Anne Will, durch die Sportschau führte. Ein Fußballspiel live im Fernsehen hatte eine Frau noch nie kommentieren dürfen. Frauenfußball schaffte es im Jahr 2001 nur durch einen nackten Oberkörper mit Sport-BH auf die Titelseiten der Zeitungen: Claudia Müller zog vor lauter Freude über ihr Siegtor bei der Europameisterschaft im strömenden Regen das Trikot über den Kopf, und die Bild- Zeitung titelte: »So schön kann Fußball sein!« Diese Art von Beachtung galt als Fortschritt: Bei ihrem ersten Europameisterschaftssieg 1989 hatte die deutsche Frauennationalelf vom DFB als Prämie ein Kaffeeservice erhalten. Vielleicht lebte die Sportwelt etwas länger im Neandertal, dachte sich Carmen Thomas, und war das vielleicht sogar verständlich? Wollten die Männer wenigstens den Fußball für sich alleine haben, wenn die Frauen schon die Kinder kriegten?
Über den Frauentrainer Heinz Höher berichteten die Zeitungen wieder republikweit, in der Randspalte der Sportteile: »Frauen-Power mit Heinz: Der Ball ist der gleiche.« – »Heinz Höhers Damen-Wahl.« – »Höher: Nicht geizen mit weiblichen Reizen.«
Er wollte mit seiner neuen Elf aus der Regionalliga, der zweithöchsten Spielklasse, in die Bundesliga aufsteigen, der erste Trainer werden, der mit den Männern und den Frauen in der Bundesliga spielte; an solchen spielerischen Titeln hatte er schon immer Gefallen gefunden. Er ließ Juri bei den Frauen mittrainieren. Der Junge war 14. Heinz Höher wiederholte ständig eine Anweisung an seine Frauen: Schaut euch an, was er macht, dann wisst ihr, wie Fußball geht.
Als die Frauen ein Trainingsspiel gegen die männliche B-Jugend von Quelle Fürth bestritten, standen viele Jugendspieler des 1. FC Nürnberg an der Balustrade und sahen neugierig zu. Sie lachten. Juri musste auch hier bei den Frauen mitspielen. Er versuchte zu tun, als bemerke er die Gleichaltrigen an der Balustrade gar nicht.
Wenn Herr Höher etwas erklärte, hörte Juri mit fest verschlossenen Lippen zu. Lachen konnte er mit den Augen.
Juri war schlussendlich bei Greuther Fürth geblieben. Um den Jungen in der C-Jugend spielen zu sehen, fuhr Heinz Höher zum Ronhof, zum Verein, der ihn kalt weggeschickt hatte. Machte das die Erfahrung des Alters, oder hatte das der Junge geschafft: Sein Stolz stand Heinz Höher nicht mehr im Wege.
Du wirst ganz sicher Profi, sagte er Juri wieder und wieder. Juris Eltern sagten, das Wichtigste ist die Schule. Juri kam mittags von der Schule, machte sich auf den Weg zum Training in Fürth, dreimal umsteigen mit der Bahn, über eine Stunde unterwegs, gegen 22 Uhr war er zurück, erledigte die Hausaufgaben und fiel ins Bett, jeden Tag.
Elektro Hoffmann zahlte Heinz Höher 1000 Mark im Monat für das Training
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