Spieltage
der Frauenelf. Der größte Teil seines Gewinns aus dem Merian-Hotel verschwand in der Schuldentilgung. Sein Schwiegersohn, der eine Werbeagentur führte, half ihm generös aus, aber irgendwie, bald, musste er wieder Geld verdienen.
Er war 62. Er sah im Mai 2001 Ottmar Hitzfeld, den Mann, der ihm zehn Jahre zuvor den Trainerposten bei Borussia Dortmund weggeschnappt hatte, die Champions League mit Bayern München gewinnen. Er selbst verpasste den Bundesligaaufstieg mit den Frauen des 1. FC Nürnberg knapp.
Fasziniert lauschte Heinz Höher Hitzfelds Fernsehinterviews. Egal, wie die Frage des Reporters lautete, Hitzfeld kam in der Antwort elegant auf das zu sprechen, was er sagen wollte, nicht was der Journalist hören wollte. Im modernen Fußball klangen Trainer wie Politiker, dachte Heinz Höher und fragte sich: Wie würde er heute klingen?
Der Fürther Präsident Helmut Hack hatte es ihm schriftlich gegeben, dass sie in einem Jahr noch einmal reden würden, und als das Jahr um war, erlebte Heinz Höher einen Schock: Der meinte das ernst. Helmut Hack, der im Sommer 2000 Reinhold Hintermaier als Jugendkoordinator gestärkt und Heinz Höher weggeschickt hatte, ließ im Sommer 2001 den Vertrag mit Hintermaier auslaufen und holte Heinz Höher als Jugendtrainer zurück. Ein Gefühl, das so lange verschütt gewesen war, dass er schon nicht mehr wusste, dass es in ihm existiert hatte, erwachte in Heinz Höher: die grundlose, aber unbedingte Überzeugung, dass alles gut würde.
Er bekam die C2 und die B2 zugeteilt. Diesmal besprach er mit dem Präsidenten seine Pläne für die Höhere Fußballschule, er gewann den Schwiegersohn dafür, ihm einen Kunstrasenplatz am Marienberg für das Privattraining anzumieten. Er holte Daniel Adlung vom 1. FC Nürnberg zurück, einen 15-Jährigen, der nun schon zweimal zwischen Fürth und Nürnberg hin- und hergewechselt war; Talente waren keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern ein kostbares Gut im modernen Fußball.
Heinz Höher trainierte mit den Jungs im Park, Intervallläufe auf der Runde mit dem kleinen Hügel, er stand unten und sah die Jungs, seine Jungs, die Anhöhe hinaufstürmen, den Hügel nehmen.
Den Alkohol, redete sich Heinz Höher ein, kontrollierte er, zwei Bier und einen Klaren am Abend, okay, auch mal ein Bier und einen Campari Soda zum Mittagessen und einen Sekt zum Frühstück und auf einer Feier vier Bier und zwei Klare. Den anderen fiel auf, dass über den eleganten Pullovern, die Doris ihm kaufte, sein Gesicht chronisch gerötet war.
In den Ferien, der trainingsfreien Zeit, trainierte er mit Juri allein auf einem Bolzplatz im Park Marienberg, er schickte ihn mit seinen Pässen auf Flankenläufe, obwohl bei jedem Pass ein Stich durch sein rechtes Knie fuhr. Am nächsten Tag ging er mit dem Jungen zur Ausdauerschulung auf eine Fahrradtour, 80 Kilometer durch die Fränkische Schweiz. Juri war noch nie länger als bis zum Supermarkt oder der U-Bahn-Station auf dem Fahrrad gefahren. Nach dem Fahrradausflug konnte er tagelang nicht sitzen, so sehr schmerzte ihn der Hintern. Aber davon sagte er nichts zu Herrn Höher.
Die Nullerjahre
Gänsehaut
In der Sportredaktion der Abendzeitung ging ein langer Text über eine Hornisse ein. Die Zeitung hatte Heinz Höher als Kolumnisten angestellt. Meistens schrieb er durchaus über die fränkische Fußballwelt, manchmal jedoch bot er seine fiktiven Kurzgeschichten an, in denen nur mit großzügigem Willen ein Bezug zum Sport zu erkennen war. Die Hornisse war ein Pulk Amateur-Radfahrer in rötlich braunen Trikots, die mit Tempo 70 eine Bergstraße hinunterrasten, während Heinz Höher ihnen mit dem Rad entgegenkam, sein offenes Lenkradtäschchen voller Geldscheine, da er gerade auf der Bank gewesen war. Vom Fahrtwind der Hornisse aufgewirbelt, flogen die Scheine aus dem Täschchen, und was passiert, wenn es Geld regnet, wollte die Abendzeitung dann doch lieber nicht veröffentlichen.
Heinz Höher schnitt seine Zeitungskolumnen sorgfältig aus. Postwendend legte er die Werke ungeordnet in eine Kiste und sah sie nicht mehr an, aber wenn er seine Texte über den 1. FC Nürnberg oder Greuther Fürth beim Ausschneiden in den Händen hielt, konnte er seine Verbindung zur Welt des professionellen Sports noch fühlen. 2003 war er 65 Jahre alt geworden, offiziell ein Rentner. Aber Kurzgeschichtenschreiber und Fußballtrainer kannten kein Rentenalter. Der Otto war Europameister geworden, mit 66.
Otto Rehhagels sensationeller Sieg
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