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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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mit der griechischen Nationalelf bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal ließ das Publikum mit einem leicht irren Lachen in den Gesichtern zurück, das in gleichem Maße Unglaube und Irritation ausdrückte. Gerade hatte sich die Bundesligaszene davon überzeugt, dass Libero und Manndeckung mittelalterliche Ideen waren, da gelang Rehhagel mit Libero und der urgewaltigsten Manndeckung der Coup des Jahrzehnts. Eine Szene aus dem EM-Halbfinale Griechenland gegen Tschechien brannte sich ein: Tschechiens über zwei Meter großer Stürmer Jan Koller zog sich, müde von der permanenten Manndeckung, in die eigene Spielhälfte zurück, um nur einen Moment alleine zu sein. Sobald Koller wieder die Mittellinie überschritt, schnellte sein Schatten Michalis Kapsis hervor, um ihn auf Schritt und Tritt ganz eng an der Hüfte zu bewachen. Koller legte den Kopf in den Nacken und schrie vor Verzweiflung den Himmel an.
    Wenn alle Mannschaften dasselbe Spielsystem pflegten wie 2004 die Raumdeckung mit der Abwehr auf einer Linie, konnte eine Mannschaft mit einer völlig anderen Spielidee alle verwirren und überfordern, bewies Rehhagels Griechenland, selbst wenn diese Spielweise theoretisch antiquiert war.
    Während der Otto Europameister wurde, trainierte Heinz Höher mit Juri im Park. Er hatte den Jungen ein Stück weit loslassen müssen. Bei Greuther Fürth trainierten nun andere Juri, Heinz Höher kümmerte sich um die Elf der 14-Jährigen, während Juri mittlerweile in der A-Jugend spielte. Er war im Juli 2004 achtzehn geworden. Noch ein Jahr, und es musste sich entscheiden, ob Juri einen Platz als Profifußballer finden würde.
    Seine neuen Jugendtrainer hatten Juri auf die Position im defensiven Mittelfeld festgelegt. Heinz Höher konnte die Entscheidung nachvollziehen, mit einem wunderbaren Gefühl für das, was im nächsten Moment geschehen würde, erkämpfte sich Juri den Ball und startete mit einem sauberen Pass den Gegenangriff. Als defensiver Mittelfeldspieler wurde er im Herbst 2004 in die deutsche Jugendnationalelf berufen. Trotzdem machte Heinz Höher die Festlegung auf diese Position Angst. Wirklich weiterentwickeln konnten sich Jugendfußballer nur auf den offensiven Positionen, wo sie auf engstem Raum in kürzester Zeit dribbeln, passen, kreative Lösungen finden mussten. Hoffentlich war Juri nicht zu jung zu weit nach hinten auf dem Spielfeld gerutscht, dachte Heinz Höher und sagte dem Jungen nichts.
    Über den Vater eines Freundes, Chefarzt am Erlanger Universitätsklinikum, hatte Thomas versucht, Juris Mutter eine Anstellung zu verschaffen, aber es war nichts zu machen. Ihr sowjetisches Medizinstudium wurde in Deutschland nicht anerkannt. Heinz Höher verschaffte Juris Vater über den ehemaligen Geschäftsführer des 1. FC Nürnberg einen Posten in seinem gelernten Beruf als Dreher, um ihn von den Spätschichten als Lastwageneinräumer zu befreien. Nach einigen Monaten kehrte Juris Vater in die Spedition zurück. Er war als Dreher nicht mehr auf dem aktuellen Stand des Berufs gewesen, ständig hatte er die Kollegen fragen müssen, wie dies und das heute gemacht wurde. Juri spürte, sein Vater war wie er. Es war ihnen unangenehm, andere um Rat fragen zu müssen, etwas von anderen zu wollen.
    Am Stadtrand von Erlangen versuchten die Zweitligafußballer der Spielvereinigung Greuther Fürth, die überschüssige Anspannung aus den Körpern zu vertreiben. Wie vor jedem Spiel hatte Trainer Benno Möhlmann seine Mannschaft auf einen morgendlichen Spaziergang rund um das Hotel in Erlangen geschickt. Betont zufällig schlenderte der Trainer nach einigen Minuten neben Juri Judt. Es war der 29. August 2005. Vor zwei Monaten hatte Juri sein Fachabitur bestanden, vor vier Wochen war er 19 geworden. Würdest du dir zutrauen, heute Abend zu spielen?, fragte der Trainer.
    Hunderte Male stellten Bundesligatrainer jungen Debütanten vor ihrem ersten Einsatz genau diese Frage. Als ob irgendein Fußballer antworten würde: Nein, ich traue es mir nicht zu. Natürlich traue ich es mir zu, antwortete, gemäß dem ungeschriebenen Skript, Juri.
    Das kleine Stadion mit den niedrigen Tribünen und grün-weiß gestreiften Flutlichtmasten surrte und summte. Fast elftausend Zuschauer waren in den Fürther Ronhof gekommen. Der Ronhof hieß nun Playmobil-Stadion. Juri trug ein Trikot mit kurzen Ärmeln. Die Spielkleidung ganz in Weiß betonte die Bräune seiner Haut, er war seit Wochen nicht beim Friseur gewesen, die schwarzen Haare lockten

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