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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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September 2009, dem fünften Spieltag der Bundesligasaison 09/10, war das Frankenstadion im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach mit 47000 Zuschauern ausverkauft. Es brauchte keinen elektrisierenden Gegner mehr, es reichte schon, dass die Temperaturen nicht auf –10 Grad fielen und die Heimelf nicht die allerschlechteste Saison spielte, und die Bundesligastadien waren ausverkauft.
    Judt spielt, sagten die Reporter auf der Tribüne.
    Na, das ist eine Überraschung.
    Neun Minuten in Frankfurt, 25 in Stuttgart hatte er als Einwechselspieler bereits in der Bundesliga gewirkt; als echter Bundesligaspieler durfte sich fühlen, wer erstmals eine Partie von Anfang bis Ende bestritt. Die Spieler nahmen im Gang vor den Umkleidekabinen Aufstellung, der Stadionsprecher legte die Club-Hymne auf, Ein Fels in wilder Brandung, der alles überstand. Heinz Höher bekam auf der Tribüne eine Gänsehaut, er dachte, er könnte seine Mannschaft da unten sehen, Eckstein, Reuter, Dorfner, Grahammer, er konnte sich nicht erinnern, wie viele Jahre er nicht mehr im Frankenstadion gewesen war, Heinz Höher – Ein Fels in wilder Brandung, der alles überstand/Er hielt in vielen Jahren so manchen Stürmen stand, schallte es durch das Stadion – fühlte 20 Jahre nach seiner Entlassung als Manager des 1. FC Nürnberg, er gehörte wieder dazu.
    Juri rückte nach innen, wenn Mönchengladbach über den entfernten Flügel angriff, er sicherte eng an Innenverteidiger Javier Pinola dessen linke Flanke, während dieser gegen Matmour in den Zweikampf ging, so hatte seine Generation das Fußballspielen gelernt: immer in Aktion, auch wenn er nicht in Ballnähe war, die taktische Gewissenhaftigkeit war das Wichtigste. Wenn Gladbachs Juan Arango aus dem Mittelfeld angeprescht kam, beschattete ihn Juri, versuchte ihn durch sein Stellungsspiel auf den Flügel abzudrängen, bloß nicht zu hastig in den Zweikampf gehen, die Fehlerlosigkeit war das oberste Ziel, hatten ihm seine Trainer seit Jahren eingeimpft. Schließlich schlug Juri zu. Energisch trat er gegen Arango nach dem Ball, Juri war nur 1,76 Meter groß, feingliedrig, aber der wuchtige Zweikampf gehörte zu seinen Stärken. Den eroberten Ball spielte er mit einem einfachen Pass zum Innenverteidiger neben ihm oder kurz diagonal zum defensiven Mittelfeldmann. Nürnberg gewann gegen Mönchengladbach 1:0, der erste Sieg in der jungen Saison, zittrig verteidigt. Juri Judt war in seinem Bundesligadebüt nicht weiter aufgefallen, das hieß, er durfte sehr zufrieden sein: Er hatte keine Fehler gemacht.
    Er fuhr nach dem Spiel nach Hause, die Gesichter seiner Eltern glühten vor Stolz, Heinz Höher rief wie jeden Tag an, auch seine Stimme klang höher als sonst. Juri freute es, anderen eine Freude zu machen. Er blieb an dem Abend zu Hause wie an jedem gewöhnlichen Abend. Er mochte es, wenn er sich still, alleine für sich, freuen konnte.
    Am Ende der Saison hatte er 18 Bundesligaeinsätze absolviert. Juri konnte fast überall helfen, sagte der Trainer. Juri war – die ultimative Profieigenschaft im modernen Spiel – zuverlässig.
    Gewissenhaft erschien er auch zum Training, das Heinz Höher in der Sommerpause für ihn organisierte. Heinz Höhers zwölfjähriger Enkel stellte sich in das kleine Tor aus dicken Eisenstangen, und Juri Judt, Bundesligaprofi mit 23 Jahren, trainierte mit Heinz Höher auf dem Bolzplatz im Park Marienberg Gegner umdribbeln.

2010 und danach
Doppelknoten für immer
    Eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff in den Umkleidekabinen der Bundesliga, die nun Wellnessbereichen ähnelten, schnürte Juri Judt seine Fußballschuhe stets mit einem Doppelknoten. So wie er es als zwölfjähriger Junge von Herrn Höher gelernt hatte.
    Mit 24 war Juri verheiratet und Vater einer zweijährigen Tochter. Herr Höher meldete sich weiterhin täglich. Juri sollte den Ball beim Dribbling nicht so oft mit dem Fuß berühren, er bremste sich so selbst, und nie aus dem Stand losdribbeln, aus dem Stand kam er nicht am Gegner vorbei. Juri stimmte Herrn Höher verständnisvoll zu. Aber was, dachte er im Stillen, wenn ich es einfach nicht besser kann?
    Er war unter Trainer Dieter Hecking im Spätsommer 2010 zum ersten Mal beim 1. FC Nürnberg, zum ersten Mal in der Bundesliga Stammspieler geworden. Spiel für Spiel, die ganze Vorrunde hindurch, war er als rechter Außenverteidiger gesetzt. Es lief für die Mannschaft, sie hielt sich im Mittelfeld der Tabelle, Juri verteidigte solide, gelegentlich, wie bei einem

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