Spieltage
Gerichtshof durchgesetzt hatte, dass Fußballprofis nach Ende ihres Vertrags ablösefrei den Verein wechseln durften, klagten Bundesligamacher regelmäßig, sie seien der Macht der Spieler ausgeliefert. Entweder erhöhten sie das Gehalt, oder die Spieler verließen den Verein nach Ablauf des Vertrags, ohne dass der Klub einen Cent Entschädigung sah.
Tatsächlich hatte sich die Macht zwischen Verein und Angestellten nur einigermaßen ausbalanciert. In den Sechzigern, zu Gründungszeiten der Bundesliga, war zum Beispiel in Frankreich den Profispielern ein Vereinswechsel vor dem 35. Lebensjahr verboten, und noch 1980 gab der Hamburger SV seinem Torwart Rudi Kargus keinen neuen Vertrag, blockierte aber gleichzeitig Kargus’ Wechsel zu Fortuna Düsseldorf, weil dem HSV die Ablöse zu gering erschien. Kargus war ein halbes Jahr arbeitslos. Im modernen Fußball nach Bosman wurde hysterisch über die Macht der Spieler berichtet, wenn der Kapitän der Nationalelf Michael Ballack seinen Verein Bayern München trotz dessen üppigem Vertragsangebot zappeln ließ und schließlich ablösefrei zum FC Chelsea wechselte. Aber noch immer gab es mehr Fußballprofis, die von ihren Vereinen aus laufenden Verträgen rausgedrängt wurden, gab es Fälle wie Juri Judt, in denen der Verein den Spieler für seinen Wechselwunsch offenbar zu bestrafen versuchte.
Klaus Allofs rief an, Werder Bremen benötige leider keinen defensiven Mittelfeldspieler, sie hatten in Nationalspieler Torsten Frings einen der Besten Deutschlands und auch reichlich Ersatz. Welcher Bundesligist wollte noch einen Spieler, der in der Zweiten Liga auf der Ersatzbank saß, fragte sich Heinz Höher aufgewühlt.
Bruno Labbadia, der Trainer, der Juri bei Greuther Fürth aus dem Spiel genommen hatte, war genau zwanzig Jahre zuvor als Fußballer selbst einmal wie eine Ware behandelt worden. Der Manager des 1. FC Nürnberg Heinz Höher hatte ihm im Herbst 1988 die Verpflichtung quasi schon zugesagt und dann den Transfer jäh gestoppt, ohne auch nur anzurufen und Labbadia die Gründe zu nennen. Aber daran dachte Heinz Höher nicht mehr. Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, erinnert man sich selten an die eigenen Ungerechtigkeiten.
Der Trainer tat sich mit Juris Verbannung selbst keinen Gefallen, Greuther Fürth verlor ohne seinen Halt im defensiven Mittelfeld den Anschluss an die Aufstiegsplätze. Viele Spielerberater hätten das Gespräch mit dem Trainer oder Präsidenten gesucht. Heinz Höher schrieb eine Kurzgeschichte. Das BL-Syndrom. BL stand für Bruno Labbadia. Heinz Höher holte aus, erzählte von einem Jungen, der selbst Fußball im Park spielte, während die Freunde im Schwimmbad lagen, und ehe er zur Pointe kam, wie ein Mann mit BL-Syndrom dem Jungen die unschuldigen Träume raubte, brach er ab. Anders als so oft zuvor beruhigte ihn das Schreiben diesmal nicht.
Fußball war der Sport, in dem die Menschen sich mit Begeisterung immer wieder selbst lächerlich machten: Trainer konnten alles exakt planen, Spieler konnten alles gewissenhaft einstudieren, Journalisten konnten alles tief gehend analysieren, Zuschauer konnten alles genau sehen, und dann sorgte ein einziger irrationaler Moment des Spiels dafür, dass es ganz anders kam, als geplant und vorhersehbar war. Von dieser Sprunghaftigkeit des Spiels ließen sich die Macher der Bundesliga des Öfteren infizieren: Irgendwann geschah auch außerhalb des Rasens immer etwas Unvorhersehbares. Spielerberater Fritz Popp besorgte dem bei der kleinen Spielvereinigung Greuther Fürth auf die Ersatzbank verbannten Juri Judt eine Anstellung beim großen Nachbarn 1. FC Nürnberg.
Als Juri den Vertrag im April 2008 unterschrieb, war der Club Erstligist. Im Mai 2008, sechs Wochen bevor Juri dort anfing, stieg der 1. FC Nürnberg aus der Bundesliga ab.
Aber auch in der Zweiten Liga fühlte sich der Club wie ein Bundesligist an. Die Größe des Vereins blieb, die 30000 im Stadion, die phantastischen Trainingsfelder, die tägliche Aufregung in vier Zeitungen. Juri akzeptierte klaglos, dass er hier nur Aushilfskraft war, mal rechter Verteidiger, mal linker Verteidiger, dann wieder rechtes Mittelfeld, er wurde eingewechselt, wurde ausgewechselt, ein Profi musste spielen, wo ihn der Trainer hinstellte, dachte er, auch wenn er selbst wusste, im zentralen defensiven Mittelfeld konnte er viel mehr helfen. Juri Judt war in nahezu jedem Spiel dabei, als dem 1. FC Nürnberg gleich im ersten Jahr der Wiederaufstieg gelang.
Am 12.
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