Spieltage
verlor Minuten später 300. Er ärgerte sich, wenn er verlor, und freute sich nicht, wenn er gewann. Er bekam seinen Puls beim Zocken nicht hoch. Auf Dauer stellte sich der Reiz beim Wetten nur ein, wenn man damit seinen Lebensunterhalt bestritt, glaubte Heinz Höher, wenn man mit seinem Geld am Existenzlimit zockte.
Dieter Hecking antwortete nicht auf seinen Brief. Heinz Höher überraschte es. Er fuhr zum Vereinsgelände am Valznerweiher und sprach den Trainer an. Den Brief müsste er schon noch irgendwo haben, sagte Hecking vage. Er erklärte sich bereit, Heinz Höher zu treffen, am besten morgen, nach dem Training, in den Stuhlfauth-Stuben.
Am nächsten Tag sah sich Heinz Höher die letzten Trainingsminuten an und ging dann in die Vereinsgaststätte. Er wartete zwanzig Minuten. Hecking musste noch duschen, er musste vielleicht noch irgendwelche Gespräche führen, ein moderner Bundesligatrainer musste ständig irgendwen sprechen, den Teampsychologen, den Videoanalytiker, Berater, Reporter. Das alles konnte sich Heinz Höher ausmalen. Aber er hatte keine Lust mehr zu warten. Er war doch mit Hecking nach dem Training verabredet gewesen. Er stand auf, sagte der Wirtin, sie solle dem Trainer ausrichten, er sei da gewesen, und ging nach Hause. Er nahm nie wieder mit Dieter Hecking Kontakt auf.
Im Oktober 2010 glaubte Heinz Höher, sein eigener Fuß sei ihm davongelaufen. Er trat auf, aber er spürte den rechten Fuß nicht mehr, er sah an sich hinunter, der Fuß war noch da, doch er schien nicht mehr zu seinem Körper zu gehören. Er fühlte ihn nicht mehr.
Er wurde zum Neurologen überwiesen.
Trinken Sie Alkohol, fragte der Neurologe.
Schon mal, sagte Heinz Höher.
Er litt an toxischer Polyneuropathie. Der Alkohol zerstörte sein Nervensystem. Polyneuropathie fing sehr oft in den äußersten Körperteilen, den Händen und Füßen, an, weil die längsten Nervenstränge zuerst betroffen waren. Zunächst spürte man ein Kribbeln in den Zehen, dann ein Taubheitsgefühl, schließlich gar nichts mehr. Wenn er weitertrank, laufe er Gefahr, bald ein Pflegefall zu sein. Nach und nach würde sein Körper gelähmt, so wie jetzt bereits der rechte Fuß.
Stellen Sie sich vor, dass sich die Krankheit vom Fuß langsam nach oben arbeitet, sagte der Neurologe. Irgendwann erreicht sie das Herz.
Heinz Höher verließ die Praxis und dachte: Jetzt hast du den Grund, nach dem du jahrelang gesucht hast; der Grund, der dich zwingt, mit dem Trinken aufzuhören. Zu Hause sammelte er die Bierflaschen ein und brachte sie zur Pfandrückgabe. Er gab volle Flaschen ab.
Juri trank keinen Alkohol. Er ging lieber mit seiner Frau und der Tochter im Shoppingcenter ein Eis essen. Er hatte für seine junge Familie in einem Neubaublock in Langwasser eine Wohnung gekauft, im Erdgeschoss, sodass sie ein Stück Garten besaßen. Langwasser hatte in Nürnberg keinen guten Ruf, fast nur gleichförmige Wohnblocks, viele ärmere Bewohner und einige, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Juri fand, der Ort war ideal, nahe am Trainingsgelände, am Shoppingcenter und hinter dem Wohnblock gleich eine Wiese mit majestätischen Bäumen für die Kinder zum Spielen. Als er eine Bundesligapartie aussetzen musste, arbeitete er samstags kurz vor 15:30 Uhr im Garten. Die Fans kamen auf dem Weg zum Stadion vorbei und grüßten ihn erstaunt.
Eine Muskelfaser war im Februar 2011 im Oberschenkel gerissen. Er wollte so schnell wie möglich wieder auf das Spielfeld zurückkehren. Zehn Tage nach dem Muskelfaserriss begann Juri wieder mit dem Training. Er riss die Verletzung durch die Belastung erst richtig auf und fiel fünf Wochen aus. Das war das alltägliche Risiko eines Bundesligaspielers. Er nahm bei einer kleineren Verletzung Schmerztabletten und hoffte, dass es gut ging. Wenn sich die Verletzung verschlimmerte, hatte er eben Pech gehabt. Eine kleinere Verletzung vernünftig auszukurieren war keine Option. Irgendeiner in der Mannschaft lauerte schon seit Monaten auf den Platz in der Elf.
Juri Judt durfte nach fünf Wochen Verletzungspause wieder nahtlos in die Elf zurückkehren. Aber er war nun nicht mehr der Gesetzte, sondern der, der auf Bewährung spielte. Bei seinem Comeback im April 2011 verlor der 1. FC Nürnberg durch ein Tor in der letzten Spielminute 0:1 in Köln. In den Augen des Trainers hatte er sich nicht bewährt.
Juri traf sich mit Herrn Höher im Park Marienberg, die Bäume blühten schon. Herr Höher redete vehement auf ihn ein, bei dem
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