Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
einen Fluchtversuch in ziemliche Schwierigkeiten.«
Wiener breitete die Arme aus und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß bloß, was bei uns nach solche’ Aktione’ in der Presse zu lese’ war. Aber offe’bar habe’ die Zurückgelassene’ manchmal ihre gesamte Zukunftsplanung nicht mehr verwirkliche’ könne’.«
»Ja, das ist richtig. Je nachdem, welche Ausbildung man machen wollte, welchen Beruf man anstrebte. Das Regime war misstrauisch«, erklärte Skorubski.
Anette Faun wurde von einem Beamten ins Büro begleitet. »Ich sollte heute vorbeikommen«, sie sah verunsichert von einem zum anderen, »wegen des Protokolls.«
»Dafür bin ich zuständig«, feixte Wiener und bot ihr einen Platz an seinem Schreibtisch an. »Ich kann am schnellsten tippen.«
Die junge Frau lachte fröhlich und die beiden machten sich an die Arbeit.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Nachtigall, dass Albrecht Skorubski wie beiläufig seine Jacke von der Stuhllehne zog.
»Ich bin dann weg«, verkündete der Freund knapp und war durch die Tür, bevor Nachtigall ihn noch fragen konnte, was das zu bedeuten hatte. Der Arzttermin!, fiel es ihm plötzlich wieder ein, richtig, Albrecht hatte davon gesprochen. Ein diffuses Gefühl ernster Sorge machte sich in ihm breit.
Blieb für ihn demnach die Akte Roland Keiser.
Mürrisch trug er das gesammelte Material zu seinem Schreibtisch, griff nach Kugelschreiber und Papier. ›Friedrich Konstantin Plau‹, schrieb er ordentlich an den Kopf der Freundesliste.
Dann schlug er den Ordner auf.
Roland Keiser.
Auf dem Foto lächelte er.
Ein smarter, junger Mann.
Vor 20 Jahren sehr attraktiv, heute wäre er den meisten Mädchen wahrscheinlich zu ölig.
Blond, Seitenscheitel, die Haare halblang, leicht gelockt, die Lippen etwas wulstig. Das Lächeln wirkte ein wenig unfrei. Seine dunklen Augen bildeten zu den Haaren einen interessanten Kontrast.
Insgesamt nicht unsympathisch, eine Spur zu arrogant vielleicht, befand Nachtigall abschließend.
»Warum hat dich jemand so sehr gehasst?«, flüsterte er dem Porträt zu.
Schon bald waren unter dem ersten Namen drei weitere notiert. Alles junge Männer, die schon gemeinsam die Grundschule besucht hatten. Der ABV Hans Peter Kramer hatte mit jedem ein zunächst vorfühlendes Gespräch über die Lebensgewohnheiten ihres nun verschwundenen Freundes Roland geführt. Aus den Protokollen erfuhr Nachtigall, dass Roland Keiser gern feierte, eifrig Sport trieb und in einer sportlichen Karriere auch seine berufliche Zukunft sah.
»Und dann kam das Rheuma. Dieser Traum ist also geplatzt«, murmelte der Hauptkommissar.
Im Gespräch mit dem ABV hatte einer der Freunde den Namen Sabine Wernke erwähnt, mit der Roland angeblich mehr als oberflächlich befreundet gewesen war. Alles in allem ergab sich das Bild eines typischen Jugendlichen. Politisch sei er nicht besonders interessiert gewesen, sagten die Freunde aus, einzig Ronny Zobel berichtete über angeblich konkrete Pläne Keisers, die DDR mithilfe eines Heißluftballons verlassen zu wollen. Roland sei es leid gewesen, seine Lieblingsmusik immer nur heimlich hören zu können.
Nachtigall konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Bernhard Schneider, der Untermieter von Keiser, wollte von solchen Überlegungen nichts bemerkt haben. Mit ihm habe Roland über solch eine Idee nicht gesprochen und er habe im Übrigen auch nie den Eindruck gewonnen, der junge Mann sei mit seinen Lebensverhältnissen unzufrieden. Es war beinahe auffällig, wie wenig Schneider über seinen Mitbewohner wusste. Offensichtlich waren die beiden nicht optimal miteinander ausgekommen. Bei der Wohnungsdurchsuchung fanden sich zwei Bücher über die Konstruktion von Montgolfièren, aber nirgendwo ein Hinweis darauf, dass Keiser sich konkret mit dem Bau eines Ballons beschäftigt hatte.
Nach Besuchern befragt, erklärte Schneider, es habe nur selten Gäste bei ihnen gegeben, weibliche Personen seien so gut wie nie in die Wohnung gekommen. Im Gegensatz zu den anderen Zeugen charakterisierte der Untermieter Roland Keiser als wenig kommunikativ und ungesellig.
Rasch blätterte Nachtigall weiter.
Der ABV war gewissenhaft vorgegangen, hatte sogar eine verflossene Freundin Keisers ausfindig gemacht. Nachdem er zunächst keine Erklärung für das Verschwinden des jungen Mannes finden konnte, hatte er Leutnant Kerner informiert. Seiner Auffassung nach konnte man das Abtauchen so kurz nach der OP und in relativ hilflosem Zustand nicht
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