Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Und jetzt das! Sie stöhnte. Die Hebamme massierte ihr die Lendenwirbelsäule.
»Ganz ruhig, Kleine. Das schaffen wir schon.«
Manuela hätte das gern geglaubt. Doch der Schmerz blockierte das Denken. Dunkel erinnerte sie sich, dass die matronenhafte Frau so etwas schon vor Stunden zu ihr gesagt hatte. Wie lang konnte das noch dauern? Von Zeit zu Zeit schob ihre Mutter den Kopf herein, um den Stand der Dinge zu erfragen.
Doch an dem änderte sich seit gefühlten Ewigkeiten nichts mehr.
Es war, als sei die Entbindung ins Stocken geraten. Panik erfasste sie. Sicher wäre es besser gewesen, sich gegen ihre Mutter durchzusetzen und im Krankenhaus zu entbinden. Nun war es zu spät. Die Hebamme tastete nach Manuelas Puls.
»Reg dich doch nicht so auf! Dein Kind lässt sich eben ein bisschen Zeit. Das macht nichts – oder hattest du heute noch einen anderen Termin?« Sie lachte unangenehm und der jungen Frau schlug eine Welle ihres schlechten Atems ins Gesicht. Sie zuckte unwillkürlich zurück.
»Sich schwängern lassen und bei so ein bisschen Zwiebelgeruch empfindlich reagieren! Hätteste dir einen Tag ohne Bratkartoffeln zu Mittag ausgesucht, Madamchen!«
Plötzlich schien etwas in Manuela nachzugeben.
»Aha. Die Fruchtblase wäre dann geplatzt. Nun wird’s nicht mehr lange dauern«, triumphierte die Frau, die Manuela im Stillen ›das Grauen‹ nannte.
Als sie Stunden später wieder zu sich kam, lag sie in einem großen Bett, das sie noch nie gesehen hatte. Ein vorsichtiger Blick in die Runde verriet ihr, dass sie nicht zu Hause sein konnte.
Nur widerstrebend erlaubte sie der Erinnerung zurückzukehren. Hastig fuhren ihre Hände über den Bauch. Das Baby!
Wo war ihr Kind? Eng schlang sie die Arme um ihren Leib und begann sich hin und her zu wiegen.
Sie schluchzte hemmungslos.
Horrorgeschichten über Frauen, denen man das Baby gleich nach der Geburt entrissen hatte, stürmten auf sie ein, alles um sie herum begann sich wie in einem Strudel zu drehen, sie versuchte, sich an einen festen Punkt zu klammern, rutschte ab, verlor ihn und stürzte in unergründliche Schwärze.
»Um Himmels willen, Kindchen! Das ist ja traurig. Sag uns mal, wie der Vater heißt, damit wir ihn verständigen können. Damit solltest du jetzt nicht allein sein«, hörte sie von weit entfernt während des Tiefertaumelns und gleich darauf die Stimme ihrer Mutter, kalt und ohne jedes Gefühl: »Nun hat sie auch noch ein krankes Balg!«
Danach war alles ein schwarzes Nichts.
24
Kiri schwebte wie auf Wolken.
Marnie lachte leise. Sicher, sie hatte ihre sportliche Freundin schon manchmal völlig aus dem Häuschen erlebt, nach erfolgreichen Spielen, einem traumhaften Torschuss – aber derart durch den Wind war sie noch nie gewesen.
»Und dann kriege ich den Ball – weißt du, in dem Moment habe ich wirklich gar nichts mehr gedacht. Mir war klar, ich kann es schaffen. Und da habe ich eben alle Kraft in diesen Schuss gelegt! Drin! Ich stand da und konnte es nicht glauben. Drin!«, jubelte Kiri hemmungslos.
»Wow! Mensch, ich freue mich so für dich! Aber sag mal, ist es denn üblich, dass man bei ›Turbine‹ einfach Leute vom Spielfeldrand zum Mitspielen auffordert?«
»Nee! Natürlich nicht. Die wussten ja, wer ich bin. Wahrscheinlich erzählt meine Mutter während der Physiotherapie ständig nur von ihrer fußballbegabten Tochter. Peinlich. Und bestimmt haben die das gar nicht geglaubt. Das mit dem Talent, meine ich. Die haben mich womöglich nur gefragt, damit meine Mutter Ruhe gibt. Und dann war ich die Überraschung des Tages. Es war so supergeil!«, schwärmte die Fußballerin und warf einen raschen Seitenblick auf ihre Mutter.
Ein liebevoller Klaps auf den Hinterkopf brachte die Welt für Frau Schybulla wieder ins Lot.
»Da!«, zeterte Kiri. »Siehst du, wie man hier mit mir umgeht? Ich bin sicher, Kim Kulig hatte es leichter.«
»Kim? Oh nein, da bist du auf dem Holzweg. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie sogar in einem Interview mal erzählt, dass sie eigentlich ihre Zukunft in der Musik finden wollte und sollte. Fußball hat sie nur aus Spaß nebenbei gespielt. Irgendwann hat sie gemerkt, dass ihr der Sport noch viel mehr lag als Musik. Na ja, dann musste sie das noch ihren Eltern erklären – und so leicht war das nicht, die beiden von der neuen Planung zu begeistern«, erklärte Kiris Mutter bestimmt.
»Wirklich? Und ich dachte, die neue Generation Spielerinnen hat diese Art von Kämpfen nicht mehr
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