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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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vollzogen und sich gepaart haben, befinden sich nicht nur auf den Blättern Viruspakete, sondern auch auf den Gelegen, die von den Schmetterlingsweibchen abgesetzt werden. Deshalb wird ein großer Teil der neuen Raupen im nächsten Frühjahr schon beim Schlüpfen infiziert. Damit steigt die Verbreitung der Infektion stark an, und dieser Anstieg über den Vorjahreswert »führt im folgenden Jahr zu einem noch größeren Prozentsatz von infizierten Raupen«, sagt Dwyer. Innerhalb von zwei oder drei Jahren wird durch diesen Sperrklinkeneffekt »praktisch die gesamte Population ausgelöscht«.
    Die Schwammspinner verschwinden, und zurück bleiben nur die Viren. Manchmal sind es so viele, so fügt er hinzu, »dass man eine Art graue Flüssigkeit von der Baumrinde tropfen sieht«. Es regnet, und eine Masse aus Viren und aufgelösten Raupen wird von den Bäumen gewaschen. Ich bin zutiefst beeindruckt.
    »Das hört sich ja fast nach Ebola an«, sage ich.
    »Ja, stimmt.« Er hatte zum Teil dieselben Tagungen besucht und die gleichen Bücher und Fachartikel gelesen wie ich.
    »Aber nicht wie das reale Ebola«, sage ich. Eher wie das Ebola der Sensationspresse, das Albtraum-Ebola, die blutrünstige Version, in der sich die Opfer in einen Beutel voller verflüssigter Innereien verwandeln.
    Er stimmt mir zu. Die gleiche Unterscheidung zwischen den Abstufungen der Grausigkeit, zwischen Realität und Übertreibung, muss man auch bei NPV treffen. »Über unser Virus sagen die Leute gern: ›Ach, ihr erforscht dieses Virus, das die Insekten explodieren lässt!‹ Aber das Virus lässt die Insekten nicht explodieren «, sagt er noch einmal. »Es lässt sie schmelzen .«
    Nachdem ich mir dieses Szenario vor Augen geführt, seine Diagramme gesehen und seine plastische Darstellungsweise gelobt habe, komme ich auf den eigentlichen Grund meines Besuches zu sprechen: die Analogie, wie ich sie nenne. Seit letzter Woche, so erkläre ich, haben wir auf diesem Planeten sieben Milliarden Menschen. Das hört sich nach hoher Populationsdichte an. Man muss nur nach Hongkong blicken, oder nach Mumbai. Wir sind eng vernetzt. Wir fliegen durch die Gegend. Die sieben Millionen Menschen in Hongkong sind nur drei Stunden von den zwölf Millionen Menschen in Peking entfernt. Keine andere große Tierart war jemals so zahlreich. Und auch für uns gibt es ein gerüttelt Maß potenziell verheerender Viren. Manche davon sind vielleicht so unangenehm wie NPV. Also … wie lautet die Prognose? Stimmt die Analogie? Müssen wir damit rechnen, dass die Weltbevölkerung irgendwann zusammenbricht wie eine Schwammspinnerpopulation?
    Dwyer lässt sich nicht dazu drängen, einfach »Ja« zu sagen. Er ist ein besonnener Empiriker, wohlfeilen Extrapolationen misstraut er. Deshalb möchte er eine Pause machen und darüber nachdenken. Was er auch tut. Währenddessen sprechen wir über Influenza.
    106
    Grippe
    Über Influenza habe ich in diesem Buch kaum etwas gesagt, aber das liegt nicht daran, dass sie nicht wichtig wäre. Im Gegenteil: Sie ist höchst wichtig, höchst kompliziert und könnte in Form einer globalen Grippe-Pandemie immer noch verheerende Folgen haben. Die nächste große Epidemie könnte durchaus die Influenza sein. Das weiß auch Greg Dwyer, deshalb erwähnt er es. Ich brauche sicher nicht ausdrücklich daran zu erinnern, dass die Grippeepidemie von 1918/19 ungefähr 50 Millionen Opfer forderte; und bis heute gibt es keinen Abwehrzauber, keinen universell wirksamen Impfstoff, keine narrensichere und allgemein verfügbare Therapie, die gewährleisten könnten, dass es nicht wieder zu so viel Tod und Elend kommt. Schon in einem durchschnittlichen Jahr sorgt die jahreszeitliche Grippe weltweit für mindestens drei Millionen Krankheitsfälle, und mehr als 250000 Menschen sterben daran. Die Influenza ist also im besten Fall ungeheuer gefährlich, im schlimmsten könnte sie eine Apokalypse heraufbeschwören. Ich habe sie mir für diese Stelle aufgehoben, denn sie eignet sich gut als Ausgangspunkt für einige abschließende Gedanken über das ganze Thema der zoonotischen Erkrankungen.
    Betrachten wir erst einmal die Grundlagen. Die Influenza wird von dreierlei Virentypen verursacht, am beunruhigendsten und am weitesten verbreitet ist Influenza A. Viren dieses Typs haben gewisse genetische Merkmale gemeinsam: ein Genom aus einzelsträngiger RNA , das sich in acht Abschnitte gliedert, die als Matrizen für elf verschiedene Proteine dienen. Mit anderen Worten: Sie

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