Spillover
enthalten acht abgegrenzte codierende RNA -Abschnitte, die hintereinandergekoppelt sind wie Eisenbahnwaggons und elf verschiedene Ladungen tragen. Diese elf Ladungen sind die Moleküle, aus denen die Struktur und die »Maschinerie« des Virus bestehen. Sie sind das, was die Gene produzieren. Zwei dieser Moleküle, Hämagglutinin und Neuraminidase genannt, werden zu spitzen Vorsprüngen an der Außenfläche der Virushülle. Sie werden vom Immunsystem erkannt und sind unentbehrlich, damit das Virus in die Wirtszellen eindringen und sie wieder verlassen kann; außerdem geben sie den Untertypen der Influenza A ihre Namen: H5N1, H1N1 und so weiter. Die Bezeichnung »H5N1« bedeutet, dass ein Virus aus dem Subtyp 5 des Hämagglutinins in Verbindung mit dem Subtyp 1 der Neuraminidase besteht. In der Natur hat man bisher 16 Hämagglutinintypen und neun Arten der Neuraminidase nachgewiesen. Hämagglutinin ist der Schlüssel, der eine Zellmembran »aufschließt«, so dass das Virus in die Zelle gelangen kann, und Neuraminidase ist der Schlüssel, um wieder herauszukommen. So weit klar?
Zur Zeit der Pandemie von 1918/19 kannte niemand die Ursache der Erkrankung (allerdings gab es viele Vermutungen). Niemand fand den verantwortlichen Erreger, niemand konnte ihn sehen, niemand hatte einen Namen dafür oder verstand ihn, denn die Virologie steckte noch in den allerersten Anfängen. Man hatte noch keine Methoden entwickelt, um Viren zu isolieren. Das Elektronenmikroskop war noch nicht erfunden. Das verantwortliche Virus – wie sich herausstellte, handelte es sich um eine Variante von H1N1 – wurde erst … 2005 identifiziert! In den Jahrzehnten dazwischen gab es weitere Grippe-Pandemien, darunter eine, an der 1957 ungefähr zwei Millionen Menschen starben, und eine weitere 1968, die wegen ihres Ausgangspunktes als »Hongkong-Grippe« bezeichnet wurde und eine Million Opfer forderte. Ende der 1950er Jahre wusste man, dass die Influenzaviren eine ein wenig rätselhafte und sehr vielgestaltige Gruppe von Erregern sind, die nicht nur Menschen, sondern auch Schweine, Pferde, Frettchen, Katzen und Hausenten befallen können. Aber wo diese Erreger in freier Wildbahn vorkamen, wusste niemand.
Waren es Zoonosen? Gab es Reservoirwirte? Ein Anhaltspunkt wurde 1961 gefunden: Damals starb in Südafrika eine ganze Reihe von Fluss-Seeschwalben ( Sterna hirundo ), und wie sich herausstellte, enthielten die Vögel Influenzaviren. Wenn sie daran gestorben waren, handelte es sich bei den Seeschwalben definitionsgemäß nicht um einen Reservoirwirt; aber vielleicht waren sie im Laufe ihres Lebens mit dem Reservoirwirt in Kontakt gekommen. Wenig später ging ein junger Biologe aus Neuseeland mit einem jungen australischen Biochemiker an der Küste von New South Wales spazieren. Dabei stießen sie auf einige tote Seevögel.
Die beiden Männer waren gute Freunde und hielten sich gerne in der Natur auf. Den Strandspaziergang unternahmen sie im Rahmen eines Angelausfluges. Der Neuseeländer hieß Robert G. Webster und war nach Australien gezogen, um dort zu promovieren; der Australier, William Graeme Laver, hatte in Melbourne und London studiert, und Macfarlane Burnet hatte ihn motiviert, eine Wissenschaftlerlaufbahn einzuschlagen. Nach Abschluss seiner Doktorarbeit kehrte er nach Australien zurück. Einige Jahre später unternahm er zusammen mit Webster den historischen Spaziergang. Die beiden stellten fest, dass der Strand mit toten Keilschwanz-Sturmtauchern ( Puffinus pacificus ) übersät war, und fragten sich – mit den südafrikanischen Fluss-Seeschwalben im Hinterkopf –, ob vielleicht auch diese Vögel an Influenza gestorben waren. Mehr aus Jux schlug Laver vor, zum Großen Barriereriff zu fahren, dort von Vögeln Proben zu nehmen und diese auf Influenzaviren zu untersuchen. Eine Reise zum Großen Barriereriff gilt nicht gerade als Zumutung. Sie hätten dort angeln, in der Sonne liegen und das klare, blaugrüne Wasser genießen und nebenbei ein wenig Wissenschaft betreiben können. Laver fragte seinen Chef an der Australian National University nach Finanzmitteln, mit denen er und Webster eine solche Studie in Angriff nehmen könnten. »Du spinnst wohl«, erwiderte der Vorgesetzte. »Von mir bekommst du keinen Cent.« Also wandten sie sich an die Weltgesundheitsorganisation in Genf, und dort bewilligte ihnen ein vertrauensvoller Beamter 500 Dollar, zu jener Zeit eine beträchtliche Summe. Daraufhin fuhren Laver und Webster auf eine Insel
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