Spillover
Wanderungen der Menschen zwischen dem betroffenen Dorf und anderen Siedlungen wurden eingeschränkt; man verzichtete auf sexuelle Beziehungen; man aß kein verdorbenes oder geräuchertes Fleisch; und die üblichen Bestattungspraktiken, darunter ein offener Sarg und eine letzte »Liebesberührung« des Toten durch die nacheinander vorbeiziehenden Trauernden, 14 wurden ausgesetzt. Auch das Tanzen war verboten. Solche traditionellen Vorschriften der Acholi dürften (neben den Maßnahmen des ugandischen Gesundheitsministeriums und der Unterstützung durch CDC , Ärzte ohne Grenzen und WHO ) dazu beigetragen haben, den Ausbruch in Gulu in Grenzen zu halten.
»Von diesen Menschen können wir eine Menge lernen, wenn es darum geht, wie sie auf solche Epidemien reagieren«, sagt Barry Hewlett zu mir, als wir uns in Gabun treffen. In der modernen Gesellschaft, so erklärt er weiter, sei dieses uralte, unter Schmerzen erworbene kulturelle Wissen verlorengegangen. Stattdessen sind wir auf die medizinische Wissenschaft angewiesen. Molekularbiologie und Epidemiologie sind nach seinen Worten zwar nützlich, aber auch andere Wissenstraditionen haben ihren Wert. »Wir sollten uns anhören, was die Leute hier sagen, und herausfinden, was eigentlich los ist. Schließlich leben sie schon seit langer Zeit mit den Epidemien.«
Hewlett, ein sanftmütiger Mann, ist Professor an der Washington State University und betreibt seit zwanzig Jahren Feldforschung in Zentralafrika. Als ich ihn bei einer internationalen Ebolavirus-Konferenz in Libreville kennenlerne, hatten wir beide bereits ein weiteres Dorf besucht, das durch die Krankheit zu traurigem Ruhm gelangt war. Der Ort hieß Mbomo und lag in der Republik Kongo am Westrand des Odzala-Nationalparks. Mbomo ist nicht weit von dem Fluss Mambili und dem Moba-Bai-Komplex entfernt, wo Billy Karesh vergeblich nach Gorillas gesucht hatte. Der Ausbruch in der Umgebung von Mbomo begann im Dezember 2002 vermutlich bei Jägern, die infizierte Gorillas oder Duckerantilopen angefasst hatten, und verbreitete sich dann über ein Gebiet, zu dem noch mindestens zwei weitere Dörfer gehörten. Im Unterschied zu mir kam Hewlett jedoch an, als die Epidemie noch im Gange war.
Wie Hewlett erfuhr, wurde einer der ersten Patienten aus dem Dorfkrankenhaus herausgeholt, weil seine Familie nicht an die Diagnose Ebola glaubte und sich lieber an einen traditionellen Heiler wandte. Nachdem der Patient zu Hause ohne Versorgung durch medizinisches Personal und nach erfolgloser Behandlung durch den Heiler gestorben war, wurde die Stimmung gereizt. Der Heiler verkündete, dieser Mann sei durch Hexerei vergiftet worden und der Täter sei sein älterer Bruder, ein erfolgreicher Mann, der in einem Nachbardorf arbeitete. Der ältere Bruder, ein Lehrer, war zum Schulinspektor aufgestiegen und teilte sein gutes Einkommen nicht mit seiner Familie. Wie beim Volk der Bakola im Nordosten Gabuns und seinem ezanga , so bildeten eifersüchtige Animositäten also auch hier den Hintergrund für den Vorwurf der Hexerei. Als noch ein weiterer Bruder und ein Neffe gestorben waren, steckten Angehörige das Haus des älteren Bruders in Mbomo in Brand und schickten einen Trupp los, der ihn töten sollte. Die Männer wurden von der Polizei aufgehalten. Der ältere Bruder galt nun zwar als böser Zauberer, entging aber der Rache. Schließlich zerrütteten die Beziehungen innerhalb der Dorfgemeinschaft völlig, weil immer mehr Opfer an dem unsichtbaren Schreckgespenst starben, ohne dass es eine Heilung oder eine zufriedenstellende Erklärung gegeben hätte. Das ging so weit, dass jeder, der ungewöhnlich aussah oder sich von der Menge abhob, verdächtigt wurde.
Wenig später breitete sich die Krankheit auf so viele Angehörige der Dorfgemeinschaft aus, dass Zauberei den Einheimischen als plausible Erklärung nicht mehr ausreichte. Die Alternative war opepe , eine Epidemie, in Mbomo (auf Kota, einer der einheimischen Sprachen) die Entsprechung zu dem, was Barry Hewlett bei den Acholi unter dem Namen gemo kennengelernt hatte. »Diese Krankheit tötet alle«, sagte ein Einheimischer zu Barry Hewlett, 15 deshalb könne es sich nicht um Hexerei handeln, denn die ziele stets auf Einzelne oder ihre Familien ab. Bis Anfang Juni 2003 hatte es in Mbomo und Umgebung 143 Krankheitsfälle gegeben, 128 Betroffene waren gestorben. Das entspricht einer Sterblichkeitsrate von 90 Prozent und ist selbst für das Ebolavirus vom Zaire-Typ ein Spitzenwert.
Dank
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