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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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seines echten Interesses für die Erklärungen der Einheimischen und durch geduldiges Zuhören erfuhr Hewlett einige Dinge, die nicht in die Multiple-Choice-Kategorien eines epidemiologischen Fragebogens passen würden. Eine Frau aus Mbomo erklärte ihm: »Hexerei tötet nicht ohne Grund, tötet nicht jeden und tötet auch keine Gorillas oder andere Tiere.« 16 Wieder einmal die Gorillas. Das war ein weiterer Aspekt in der Gemengelage von Mbomo – jeder wusste, dass überall in der Umgebung tote Affen im Wald lagen. Im Lossi-Schutzgebiet waren Affen gestorben. Vermutlich waren auch die in Moba Bai gestorben. Und sogar ganz in der Nähe von Mbomo hatte man Kadaver gesehen. Aber wie die Frau schon sagte: Hexerei richtet sich nicht gegen Gorillas.
    16
    Blutige Fantasien und die Realität des Todes
    Wenn ein alter Silberrücken an Ebola stirbt, dann nicht unter den Augen von Wissenschaftlern und Ärzten. Im Wald ist – außer vielleicht ein paar anderen Gorillas – niemand dabei, der den Verlauf seines Todeskampfes beobachten könnte. Niemand misst Fieber oder schaut ihm in den Hals. Wenn ein Gorillaweibchen an Ebola stirbt, achtet niemand auf die Atemfrequenz, keiner sucht nach einem verräterischen Ausschlag. Möglicherweise sind Tausende von Gorillas dem Virus zum Opfer gefallen, ohne dass je ein Mensch davon erfuhr, geschweige denn bei ihrem Tod dabei war. Es wurden nur sehr wenige Kadaver gefunden, von denen sich manche im Test auf Ebola-Antikörper als positiv erwiesen. Augenzeugen berichteten in Ebola-Gebieten zu Ebola-Zeiten über eine größere Zahl toter Tiere, aber da der Wald ein hungriger Ort ist, konnten Wissenschaftler die meisten Kadaver nie untersuchen und keine Proben entnehmen. Alles, was wir sonst noch über die Auswirkungen von Ebola auf Gorillas wissen, sind indirekte Schlussfolgerungen: Viele von ihnen – der größte Teil mancher regionaler Vorkommen, beispielsweise in Lossi, Odzala und Minkébé – sind verschwunden. Aber wie Ebola auf den Organismus eines Gorillas wirkt, weiß niemand.
    Bei Menschen ist das anders. Wie groß der Unterschied ist, kann man an den zuvor genannten Zahlen ermessen: 245 Todesfälle während der Epidemie in Kikwit, weitere 224 in Gulu, 128 in und um Mbomo, und so weiter. Insgesamt sind der Ebola-Viruskrankheit seit ihrer Entdeckung im Jahr 1976 ungefähr 1500 Menschen zum Opfer gefallen – nicht viele im Vergleich zu Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose, die ständig und weltweit zuschlagen, und auch nicht im Vergleich zu den großen Wellen des Todes, die durch die verschiedenen Formen der Grippe verursacht wurden. Die Zahl war aber immerhin so groß, dass man eine beträchtliche Datenmenge zusammentragen konnte. Außerdem starben viele dieser 1500 Menschen unter den Augen von Ärzten und Krankenschwestern. Deshalb weiß man in der Medizin heute eine ganze Menge über die Symptome und die pathologischen Erscheinungen, die sich im Laufe einer tödlichen Ebolavirus-Infektion am menschlichen Organismus zeigen. Sie verläuft nicht ganz so, wie Sie vielleicht glauben.
    Wenn Sie das Buch Hot Zone kurz nach seinem Erscheinen verschlungen haben (wie ich) oder wenn Sie durch das gewaltige Medienecho und die öffentliche Diskussion darüber erstmals von Ebolaviren gehört haben, haben Sie möglicherweise eine höchst grausige Vorstellung vom Verlauf dieser Infektion. Richard Preston schreibt eindringlich und geschickt; er hat fleißig recherchiert und hatte die Absicht, eine wahrhaft entsetzliche Krankheit fast unnatürlich entsetzlich erscheinen zu lassen. 17 Die Patienten sterben nicht nur, sondern sie bluten dabei auch heftig, und ihre Organe verflüssigen sich, bis die Menschen sich buchstäblich auflösen. Manch einem Leser schauderte es sicher bei der Formulierung, das Ebolavirus mache »aus dem ganzen Körper einen aufgelösten Schleim aus Virusteilchen«. Besonders eindrucksvoll beschreibt Preston die Opfer in einer abgedunkelten Hütte im Sudan: Komatös und bewegungslos »bluten sie aus«. Das hört sich ganz anders an, als wenn sie nur »bluten« würden. Es lässt an einen Körper denken, aus dem das Blut in Strömen herausläuft. An einer anderen Stelle heißt es, Ebola greife die Innenwand der Augäpfel an, was unter anderem zu Blindheit führe. »Blutige Tränen stehen auf den Augenlidern und laufen die Wangen hinunter, weil das Blut nicht gerinnt.« Wer denkt da nicht an Die Maske des roten Todes ? – das ist medizinische Berichterstattung nach Art

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