Spillover
Uganda, C Ô te d’Ivoire, der Republik Kongo und der Demokratischen Republik Kongo. Ein fünftes Ebolavirus scheint auf den Philippinen zu Hause zu sein und ist von dort offenbar mehrere Male mit infizierten Javaneraffen in die Vereinigten Staaten gelangt. Aber wie ist es auf die Philippinen geraten, wenn der Ursprung der Ebolaviren ursprünglich in Äquatorialafrika liegt? Kann es mit einem einzigen großen Sprung nach Asien gewandert sein, ohne dazwischen irgendwelche Spuren zu hinterlassen? Vom Südwesten des Sudans bis nach Manila sind es in der Luftlinie mehr als 10000 Kilometer. So weit kann keine Fledermaus fliegen, ohne sich zwischendurch auszuruhen. Sind Ebolaviren weiter verbreitet, als wir vermuten? Sollten Wissenschaftler auch in Indien, Thailand und Vietnam nach ihnen suchen? Oder gelangte das Restonvirus auf dem gleichen Weg auf die Philippinen wie das Ta ï -Forest-Virus in die Schweiz und nach Johannesburg – nämlich mit dem Flugzeug?
Betrachtet man alle diese Fragen aus der Sicht der Biogeographie (der Erforschung der Frage, welche Lebewesen wo auf der Erde zu Hause sind) und der Phylogenetik (der Erforschung von Evolutionslinien), wird eines offensichtlich: Unsere derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisse über die Ebolaviren sind nur winzig kleine Lichtpunkte auf einem schwarzen Hintergrund.
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Epidemie der Angst
In den von Ebola heimgesuchten Dörfern hatten die Menschen – die Überlebenden, die Hinterbliebenen und die Verängstigten, die Glück gehabt hatten und nicht unmittelbar betroffen waren – ihre eigenen Erklärungen für das Phänomen, und eine davon war das Wirken böser Geister. Oder Hexerei.
Ein Beispiel bietet das Dorf Mékouka am Oberlauf des Ivindo im Nordosten von Gabun. Mékouka war eines der Goldgräberlager, von denen die Epidemie von 1994 ausging. Drei Jahre später besuchte Berry Hewlett, ein amerikanischer Medizinanthropologe, die Region und ließ sich von den Dorfbewohnern erzählen, wie sie selbst über die Epidemie dachten und wie sie darauf reagiert hatten. Viele Einheimische sagten ihm, dieses Ebola-Ding sei ein ezanga gewesen, dieser Begriff aus der regionalen Bakola-Sprache bezeichnet eine Art Blutsauger oder bösen Geist. Um genauere Erläuterungen gebeten, erklärte ein Dorfbewohner, ezanga seien »böse, menschenähnliche Geister, die bei Menschen Krankheiten hervorrufen« 13 und sich auf diese Weise rächen, wenn jemand materielle Güter anhäuft und nichts abgibt. Man konnte ezanga sogar herbeirufen und wie einen Fluch auf ein Opfer loslassen. Nachbarn oder Bekannte, die jemanden um seinen Reichtum oder seine Macht beneideten, konnten ezanga schicken, damit er an den inneren Organen des Betreffenden nagt, so dass er krank wird und stirbt. Das, so erfuhr Hewlett, sei der Grund, warum Goldsucher und die Mitarbeiter von Holzkonzernen so stark durch Ebola gefährdet waren. Sie wurden beneidet, und sie teilten nicht.
Barry Hewlett hatte die Epidemie von Mékouka mehrere Jahre nach den eigentlichen Ereignissen im Rückblick untersucht. Doch das Thema beschäftigte ihn weiter, und weil er befürchtete, man könnte mit den überwiegend klinisch ausgerichteten Maßnahmen und Forschungsmethoden eine wichtige Dimension übersehen, tauchte er Ende 2000 in Gulu in Uganda wieder auf, als dort die Epidemie noch im Gange war. Nach seinen Feststellungen neigte auch die hier vorherrschende ethnische Gruppe der Acholi dazu, übernatürliche Kräfte für die Ebola-Krankheit verantwortlich zu machen. Sie glaubten an den gemo , eine Art bösen Geist, der manchmal wie der Wind heranfegte und Wellen von Krankheit und Tod mit sich brachte. Ebola war für sie nicht der erste gemo . Wie Hewlett erfuhr, hatten die Acholi zuvor bereits Masern- und Pockenepidemien durchgemacht, die auf die gleiche Weise erklärt wurden. Mehrere Stammesälteste erzählten dem Amerikaner, Respektlosigkeit gegenüber den Geistern der Natur könne einen gemo herbeirufen.
Wenn man einen echten gemo – im Unterschied zu kleineren Krankheitsepisoden in der Gemeinschaft – erkannt hatte, schrieb die kulturelle Überlieferung der Acholi ein Programm mit ganz bestimmten Verhaltensweisen vor. Manche davon waren durchaus zur Infektionsbekämpfung geeignet, ganz gleich, ob man Geister oder ein Virus für die Ursache hielt. Unter anderem wurde jeder Patient in einem alleinstehenden Haus untergebracht; die Versorgung der Patienten wurde Überlebenden der Epidemie anvertraut (vorausgesetzt, es gab sie); die
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