Spillover
Nierenversagen, Atembeschwerden und Durchfall, und am Ende hatte es häufig den Anschein, als würden mehrere Ursachen zu einer unaufhaltsamen Lawine zusammenfließen. Eine ähnliche Unsicherheit äußert auch Karl Johnson, aber er fügt hinzu, dass das Virus »eigentlich auf das Immunsystem aus sei«: Es unterdrückt die Produktion der Interferone, einer Gruppe von Proteinen, die für die Immunantwort unentbehrlich sind, und dann »hält nichts mehr die fortgesetzte Vermehrung des Virus auf«.
Ein weiterer Aspekt im Verlauf einer Ebola-Erkrankung ist eine Gerinnungsstörung, die als »disseminierte intravasale Koagulopathie« oder nach dem englischen Fachbegriff disseminated intravascular coagulation kurz als DIC bezeichnet wird. Man spricht auch von »Verbrauchskoagulopathie«, weil ein großer Teil der Blutgerinnungsfaktoren auf falsche Weise gebunden wird. Billy Karesh hatte mir von der DIC erzählt, während wir nach unserer Gorillabeobachtungsmission mit dem Boot den Mambili hinunterfuhren. Wie er mir erklärte, führt die disseminierte intravasale Koagulopathie zu einer Art pathologischem Blutschlamm: Die normalen Gerinnungsfaktoren (Gerinnungsproteine und Blutplättchen) bilden überall im Organismus entlang der Blutgefäßinnenwände winzige Klumpen, so dass bei Blutungen an anderen Stellen keine oder fast keine Gerinnungskapazität mehr zur Verfügung steht. Deshalb kann das Blut aus den Kapillaren in die Haut einsickern und dunkelblaue Flecken (Hämatome) bilden; es sickert aus einem Kanüleneinstich heraus, der nie zu heilen scheint, oder es gelangt in den Verdauungstrakt oder den Urin. Und was noch schlimmer ist: Die massenhafte Ansammlung kleiner Gerinnsel in den Blutgefäßen behindert die Durchblutung von Nieren oder Leber; die Folge ist dann das Organversagen, das man bei einer Ebola-Infektion so häufig beobachtet.
Das jedenfalls war zu jener Zeit, als Karesh mich darüber aufklärte, der Stand der Erkenntnis zu DIC und ihrer Bedeutung für die Ebola-Erkrankung. In jüngerer Zeit haben Karl Johnson und andere die Frage gestellt, ob sich manche Schäden, für die man bisher die DIC verantwortlich gemacht hat, nicht eher auf den immunschwächenden Effekt zurückzuführen sind, den das Virus in irgendeiner Form ausübt.
Auch heute noch ist das Ebolavirus in vielerlei Hinsicht ein undurchschaubarer Erreger, und die von ihm ausgelöste Krankheit ist nicht nur schaurig und unheilbar, sondern auch nach wie vor rätselhaft – mit oder ohne DIC , mit oder ohne aufgelöste Organe und blutige Tränen. »Ich meine, sie ist wirklich schrecklich«, betont Johnson noch einmal, »wirklich, wirklich schrecklich.« Er gehörte zu den Allerersten, die ihr begegnet sind, und das unter besonders rätselhaften Bedingungen – in Zaire, 1976, noch bevor das Virus überhaupt einen Namen hatte. Aber das Ding, so erklärt er, hat sich nicht verändert. »Und ehrlich gesagt, hat alle Welt – auch die Medizinergemeinde – viel zu viel Angst davor und deshalb will es eigentlich keiner ernsthaft erforschen.« Um die Auswirkungen des Ebolavirus in einem lebenden, leidenden Menschen zu erforschen, bräuchte man die richtige Kombination aus Klinikeinrichtungen, Labors der Sicherheitsstufe 4, engagiertem, fachkundigem Personal und geeigneten Umständen. Während der nächsten Epidemie in einem Missionskrankenhaus in einem afrikanischen Dorf wäre so etwas nicht zu bewerkstelligen. Man müsste Ebolaviren ins Labor holen – nicht nur in Form tiefgefrorener Proben, sondern in einem Forschungsumfeld unter genau kontrollierten Bedingungen. Und man müsste das Wüten der Infektion in einem lebenden Organismus studieren.
Das einzurichten, ist nicht einfach. »Wir hatten in den Vereinigten Staaten noch nie auch nur einen einzigen Ebola-Patienten«, fügt er hinzu. Aber irgendwann ist immer das erste Mal.
17
Arbeitsunfälle
England erlebte 1976 den ersten Fall einer Ebola-Viruserkrankung, Russland (soweit wir wissen) 1996. Anders als die Schweizerin, die in C Ô te d’Ivoire den toten Schimpansen untersucht hatte, steckten sich diese beiden Menschen nicht bei der Feldforschung in Afrika an, vielmehr kamen sie durch Laborunfälle mit dem Virus in Kontakt. Beide fügten sich bei Laborarbeiten selbst eine kleine, aber schicksalhafte Verletzung zu.
In England ereignete sich der Zwischenfall am Microbiological Research Establishment, einer sehr diskret arbeitenden Fachinstitution in einem staatlichen Hochsicherheitstrakt namens
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